„Schiri!!! Bei uns pfeifst du das! Aber bei denen? Die dürfen sich alles erlauben!“

Während der Olympischen Spiele in Rio 2016 wird eine Vielzahl an Wettkämpfen ausgetragen werden, in welchen unparteiische Schieds- und Kampfgerichte mit ihren subjektiven Bewertungen einen relevanten bis entscheidenden Faktor über Sieg oder Niederlage darstellen können. Gerne wird diesen dabei, im Falle eines ausbleibenden Erfolges, von Sportler- und von Fanseite die Schuld für die eigene Niederlage zugeschoben. Aber sind diese Verantwortlichen an der Pfeife oder am Kampfrichtertisch wirklich die Wurzel allen Übels? Und was macht eigentlich eine gute Leistung bei der Leitung von Sportspielen und Wettkämpfen aus?

Schiedsrichter im SpielBild ohne Namen von flooy via Pixabay (https://pixabay.com/de/linienrichter-schiedsrichter-fu%C3%9Fball-606231/), cc (https://pixabay.com/de/service/terms/#usage)Fragt man aktive Spielsportlerinnen und -sportler, egal ob aus dem Handball, Fußball oder Basketball, nach den Leistungen von Unparteiischen (damit sind im folgenden Schiedsrichterinnen/-richter sowie Kampfrichterinnen/-richter gemeint), bekommt man, vor allem nach wenig erfolgreichen Spielen, selten zu hören: „Ja, die haben eine richtig gute Leistung gebracht“.

Betrachtet man nackte Zahlen, ist dies verwunderlich. Beispielweise konnten Oudejans und Kollegen (2005) feststellen, dass Schiedsrichtergespanne im Fußball bei etwa 100 potentiellen Abseitsentscheidungen pro Spiel über 90% korrekte Entscheidungen treffen. Welche Spielerin oder welcher Spieler auf dem Feld kommt bei seinen Pass-Entscheidungen auf solch eine Quote? Klar ist jedoch auch, dass sich Sportlerinnen und Sportler benachteiligt und unfair behandelt fühlen, wenn genau eine Abseitsfehlentscheidung getroffen wird, welche zu einer 1:2 Niederlage führt – selbst wenn die Quote der richtigen Entscheidungen der Unparteiischen ansonsten bei über 90% liegt.

Aber können unter diesem Gesichtspunkt die Unparteiischen überhaupt dafür sorgen, dass ihre Leistung von allen am Wettkampf beteiligten Sportlerinnen und Sportlern als gut bewertet wird? Mit einem kleinen Perspektivwechsel ist dies möglich.

Werden Fouls im Basketball oder Situationen des passiven Spiels im Handball bewertet, gibt es nur selten ein objektives richtig oder falsch. Die subjektive Einschätzung der Sportlerinnen und Sportler prallt hier nur allzu häufig mit der subjektiven Einschätzung der Unparteiischen aufeinander. Als Kriterium für die Qualität der Schiedsrichterleistung kann aus diesem Grund auch nur die Konsistenz ihrer Entscheidungen herangezogen werden. Wird auf der einen Seite ein Foul gepfiffen, muss in einer ähnlichen Situation auf der anderen Seite genauso entschieden werden. Bekommt eine Mannschaft in einem Handballspiel das Vorwarnzeichen zum passiven Spiel immer erst relativ spät, muss mit der anderen Mannschaft bei ähnlichem Spielverhalten genauso umgegangen werden.

Gleiches gilt bei Wettkämpfen im Turnen oder in den Zweikampfsporten. Gleiche Qualitäten in der Bewegungsausführung oder gleiche Treffer im Boxen müssen auch für alle Parteien konsistent gewertet werden. Werden gleiche Situationen oder Leistungen ungleich bewertet, wird das Ganze von den Sportlerinnen und Sportlern als unfair empfunden. Werden gleiche Situationen oder Leistungen gleich bewertet, wird dies als fair empfunden.

Eine gute Leistung am Kampfrichtertisch oder von einem Schiedsrichtergespann kann also aus der Sportlerperspektive daran gemessen werden, wie die Unparteiischen ihre Linie im Verlauf des Wettkampfes entwickeln (eine Kalibrierungsphase zu Beginn des Wettkampfes muss ihnen dabei jedoch zugestanden werden) und wie konsistent sie in Ihrer Linie bleiben.

In der Wissenschaft entbrannte vor etwa 15 Jahren ein lebhafter Streit darüber, ob das Schieds- und Kampfrichtern immer Stur nach Regelwerk oder in einer aktiv gestaltenden Rolle mit einer situativ angepassten Bewertung von Wettkampfsituation, fast schon als Kunstform, umzusetzen sei (zur Übersicht Mascarenhas, Collins, & Mortimer, 2002; Unkelbach & Memmert, 2008). Aus Praxissicht scheint die Lösung dabei wie so häufig übergreifend: Eine präzise und möglichst objektive Regelkontrolle gepaart mit einer gelungenen situationsadäquaten Regelauslegung und einer klar erkennbaren eigenen Linie.

Das Problem mit der einen (!) fehlerhaften Abseitsentscheidung, welche in der 87. Spielminute zur 1:2 Niederlage führt, ist damit allerdings immer noch nicht gelöst. Hier kann man Sportlerinnen und Sportlern eines nur zu verstehen geben: Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter erbringen im Gesamten meist hervorragende Leistungen - doch auch hier passieren Fehler. Sorgt mit euren Leistungen dafür, dass diese Fehler den Wettkampf nicht entscheiden können.

Quellen:

Oudejans, R. R .D., Bakker, F. C., Verheijen, R., Gerrits, J. C., Steinbruckner, M., & Beek, P. J. (2005). How position and motion of expert assistant referees in soccer relate to the quality of their offside judgements during actual match play. International Journal of Sport Psychology, 36(1), 3-21

Mascarenhas, D.R.D., Collins, D., & Mortimer, P. (2002). The art of reason versus the exact ness of science in elite refereeing: Comments on Plessner and Betsch (2001). Journal of Sport and Exercise Psychology, 24, 328–333.

Unkelbach, C. & Memmert, D. (2008). Game-management, context-effects and calibration: The case of yellow cards in soccer. Journal of Sport & Exercise Psychology, 30, 95-109.