Schlafprokrastination: Ich weiß, ich sollte ins Bett gehen, aber …
Die meisten Menschen wissen wohl, dass Schlaf wichtig ist, und kennen die Folgen von zu kurzen Nächten. Dennoch schieben viele das Zubettgehen von Zeit zu Zeit auf, obwohl sie schon müde sind und schlafen könnten. Warum also zögern wir manchmal wider besseres Wissen die Nachtruhe hinaus? Dieser Beitrag liefert Erklärungsansätze.
Stellen Sie sich vor, Sie müssen morgen früh aufstehen und es ist eigentlich schon längst Zeit, das Licht auszuschalten. Doch anstatt ins Bett zu gehen, erscheint auf einmal alles andere wichtiger: die nächste Folge der Lieblingsserie, Onlineshopping oder sogar Haushaltsaufgaben – und das, obwohl Sie wissen: Das wird sich rächen. Am nächsten Morgen fühlen Sie sich unausgeschlafen und ärgern sich. Dieses Verhaltensmuster nennt man „Schlafprokrastination“.
Wenn Sie das beschriebene Szenario von sich kennen, befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Umfragen haben gezeigt, dass ein großer Teil der Befragten das Zubettgehen von Zeit zu Zeit aufschiebt. Die Ursache dafür liegt häufig nicht in schwer oder nicht veränderbaren Gegebenheiten wie Schichtarbeit, Sorgearbeit für kleinere Kinder oder Schlafstörungen. Stattdessen scheint das Aufschieben freiwillig und ohne triftigen Grund zu geschehen (z.B. Kroese et al., 2014).
Prokrastination ist vielen wahrscheinlich aus anderen Lebensbereichen bekannt: die Steuererklärung, die Vorbereitung auf eine wichtige Prüfung oder das Erledigen von Haushaltsaufgaben. Unangenehme oder lästige Tätigkeiten werden oft bis zur letzten Minute aufgeschoben. Warum aber schieben Menschen das Zubettgehen auf, obwohl die meisten gesunden Personen Schlaf nicht als unangenehm empfinden und obwohl bekannt ist, dass Schlaf wichtig für die Gesundheit und das tägliche Funktionieren ist?
In der Forschung werden hierfür verschiedene Gründe diskutiert. Einer davon ist, dass Menschen zwar Schlaf an sich nicht als negativ empfinden, jedoch eine Abneigung gegen die lästigen Routineaufgaben haben, die zum Zubettgehen gehören. Das sind etwa Zähneputzen, Gesichtwaschen, das Anziehen des Pyjamas oder das Herausnehmen der Kontaktlinsen. In einer Befragung haben Forschende Zusammenhänge zwischen der Abneigung gegen derartige Tätigkeiten, der Abneigung gegen Schlaf an sich und Schlafprokrastination untersucht. Die Ergebnisse geben Hinweise darauf, dass Personen das Zubettgehen hinauszögern, weil es ihnen schwerfällt, mit diesen lästigen Abendroutinen zu beginnen, und nicht, weil sie eine Abneigung gegen Schlaf haben (Nauts et al., 2016).
Wenn man die Wahl zwischen zwei Tätigkeiten hat, kann es nicht nur schwerfallen, sich unangenehmen oder lästigen Aufgaben zu widmen. Es kann auch sein, dass man sich schwer damit tut, eine angenehme Aktivität zu beenden. Gerade die Abendstunden verbringen viele Menschen mit Streaming oder Fernsehen, und heutzutage sind viele dieser Medienangebote so gestaltet, dass sie zum Weiterschauen animieren, zum Beispiel durch Cliffhanger oder Funktionen wie das automatische Abspielen des nächsten Videos. In diesem Sinne zeigen Forschungsergebnisse, dass Probleme bei der Regulation des eigenen Medienkonsums zu Schlafprokrastination beitragen können (Exelmans & van den Bulck, 2017).
Darüber hinaus begünstigt womöglich auch der individuelle Tag-Nacht-Rhythmus, dass manche Menschen zu spät ins Bett gehen. So neigen Abendtypen eher dazu, spät ins Bett zu gehen und morgens auszuschlafen, während Morgentypen lieber früh zu Bett gehen und früher aufstehen. Allerdings ist die heutige Gesellschaft eher auf die Bedürfnisse von Morgentypen ausgelegt. So beginnen Arbeit oder Schule in der Regel bereits früh am Morgen. Die Ergebnisse einer Tagebuchstudie zeigen, dass Abendtypen es häufig verpassen, wie geplant zu Bett zu gehen, und zwar besonders zu Beginn einer neuen Arbeitswoche (Kühnel et al., 2018). Das könnte daran liegen, dass sie am Wochenende entsprechend ihres eigenen Rhythmus die Möglichkeit hatten, später zu Bett zu gehen. Zu Beginn der neuen Woche müssen sie sich dann erneut an den gesellschaftlich vorgegebenen Rhythmus anpassen.
Zuletzt gibt es Hinweise darauf, dass Schlafprokrastination eine bewusste Entscheidung sein kann. In Interviews berichten Menschen von dem Gefühl, dass sie noch Zeit für sich benötigen oder es nach einem langen Tag verdient haben, etwas länger aufzubleiben (Nauts et al., 2018).
Aktuell gibt es nur wenige Studien dazu, wie Schlafprokrastination verhindert werden kann, Dennoch deuten die in diesem Beitrag aufgezeigten Erklärungsansätze auf mögliche Strategien hin. Was können Sie also tun, wenn Sie sich in diesem Beitrag wiedererkannt haben? Womöglich helfen bereits kleine Anpassungen des Alltags dabei, Schlafprokrastination zu vermeiden. Etwa kann das Einhalten regelmäßiger Schlafenszeiten – auch am Wochenende – es erleichtern, rechtzeitig zu Bett zu gehen. Personen, die es sich zur Gewohnheit machen, zu einer bestimmten Zeit ins Bett zu gehen, müssen nicht jeden Tag aufs Neue nachdenken, wann es an der Zeit ist, den Tag zu beenden. Entsprechend sollte es leichter fallen, andere Aktivitäten rechtzeitig abzuschließen. Darüber hinaus sollten Zeiten für Medienkonsum nicht auf den späten Abend gelegt werden und es ist grundsätzlich ratsam, Features wie das automatische Abspielen von Videos zu deaktivieren.
Auch wenn es aktuell noch einige offene Fragen in Bezug auf Schlafprokrastination gibt, kann es bereits als ein erster Schritt angesehen werden, sich dem Problem bewusst zu werden. Menschen, die wissen, dass sie dazu neigen, das Zubettgehen aufzuschieben, können dieses Verhaltensmuster bewusst angehen.
Literaturverzeichnis
Exelmans, L., & van den Bulck, J. (2017). “Glued to the tube”: The interplay between self-control, evening television viewing, and bedtime procrastination. Communication Research, 18, 410–444. https://doi.org/10.1177/0093650216686877
Kroese, F. M., de Ridder, D. T. D., Evers, C., & Adriaanse, M. A. (2014). Bedtime procrastination: Introducing a new area of procrastination. Frontiers in Psychology, 5, Article 611. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2014.00611
Kühnel, J., Syrek, C. J., & Dreher, A. (2018). Why don’t you go to bed on time? A daily diary study on the relationships between chronotype, self-control resources and the phenomenon of bedtime procrastination. Frontiers in Psychology, 9, Article 77. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2018.00077
Nauts, S., Kamphorst, B. A., Sutu, W., de Ridder, D. T. D., & Anderson, J. H. (2018). The explanations people give for going to bed late: A qualitative study of the varieties of bedtime procrastination. Behavioral Sleep Medicine, 753–762. https://doi.org/10.1080/15402002.2018.1491850
Nauts, S., Kamphorst, B. A., Sutu, A. E., Poortvliet, R., & Anderson, J. H. (2016). Aversive bedtime routines as a precursor of bedtime procrastination. The European Health Psychologist, 18(2), 80–84.
Bildquelle
Autor*innen
Artikelschlagwörter
Blog-Kategorien
- Corona (27)
- Für-Kinder (0)
- In-eigener-Sache (8)
- Interviews (11)
- Rechtspsychologie (24)
- Sozialpsychologie (217)
- Sportpsychologie (38)
- Umweltpsychologie (22)