Vom Kinderblick zum Erwachsenendenken: Wie sich Konzepte entwickeln

Wie entstehen die Jahreszeiten gleich noch? Wenn Sie jetzt antworten, dass dies mit dem Abstand der Erde zur Sonne zusammenhängt, ist das leider falsch. Aber machen Sie sich keine Gedanken – selbst Harvard-Absolvierende zeigen diese Fehlvorstellung. Doch warum führt uns unsere Intuition bei solchen Fragen in die Irre?

Um es gleich vorwegzunehmen: Das Geheimnis der Jahreszeiten liegt in der geneigten Achse der Erde und der Drehung um die Sonne. In diesem Video findet sich eine gute Erklärung (ab 13:45 min). Die Jahreszeiten können nichts mit dem Abstand zwischen Erde und Sonne zu tun haben, denn wenn auf der Nordhalbkugel Sommer ist, herrscht auf der Südhalbkugel gleichzeitig Winter und umgekehrt. Im Film „A Private Universe“ haben Wissenschaftler*innen schon 1987 gezeigt, dass selbst Harvard-Absolvierende dennoch meist an diese intuitive Vorstellung glauben. Dieser Film ist unter pädagogischen Fachkräften mittlerweile ein Klassiker, denn auch im Schulunterricht beobachten Lehrpersonen immer wieder, dass Lernende Antworten geben, die ihren Alltagserfahrungen entsprechen („Wenn wir näher an einer Wärmequelle sind, wird uns wärmer“), die aber nicht unbedingt wissenschaftlich korrekt sind. 

Die psychologische Forschung spricht bei solchen Beobachtungen von Konzeptwandel. Hier gibt es zunächst zwei Punkte zu klären. Erstens: Was sind Konzepte? Und zweitens: Wie wandeln sich diese? Konzepte sind mehr als einzelne Fakten wie beispielsweise das Jahr der französischen Revolution. Vielmehr sind Konzepte Verknüpfungen mehrerer Wissenselemente wie beispielsweise „Was zeichnet eine Revolution aus?“. Konzeptuelles Wissen funktioniert über Assoziationen – ein Beispiel: „Was ist die Hauptstadt von Frankreich?“ Sie werden diese Frage höchstwahrscheinlich beantworten können, und vermutlich tauchen gleichzeitig noch weitere Assoziationen auf, z.B. der Eiffelturm, die französische Flagge oder auch der Sturm auf die Bastille. Welche Assoziationen auftauchen, hängt von den Vorerfahrungen im Laufe unseres Lebens ab. Wenn wir nun Wissen abrufen möchten, etwa zur Frage, wie Jahreszeiten entstehen, werden diejenigen Informationen leichter abgerufen, die stark mit diesem Wissenselement verknüpft sind. In vielen Lernsituationen ist die erste Antwort allerdings nicht die richtige. Die Assoziation «Sonne – Wärme» ist für die meisten Menschen stärker als «Sonne – Neigungswinkel». In diesem Beispiel muss aber die erste, stärkere Assoziation unterdrückt werden, um zur richtigen Antwort zu gelangen.

Beim Konzeptlernen in der Schule geht es daher vor allem darum, Lernende von ihren intuitiven Konzepten hin zu wissenschaftlich adäquaten Konzepten zu bringen—also den Konzeptwandel einzuleiten. Doch was passiert mit den intuitiven, wenn man die korrekten, wissenschaftlichen Konzepte einmal gelernt hat? Tatsächlich werden diese nicht einfach überlernt, sondern sind immer noch vorhanden. Daher beantworten Menschen Fragen häufig so, wie es ihrer Intuition oder Alltagserfahrung entspricht. Auch Erwachsene und selbst Expert*innen die sich jahrelang mit einem Thema auseinandergesetzt haben, haben intuitive Vorstellungen und müssen diese unterdrücken. Dass intuitive Konzepte bestehen bleiben, ist eine wichtige Erkenntnis für den Schulunterricht. Das Haupthindernis für das Erlernen von Konzepten ist also nicht so sehr das, was den Lernenden fehlt, sondern das, was sie bereits haben (Carey, 2000). Wie können Lehrpersonen daher mit Konzeptwandel und damit, dass intuitive Vorstellungen aus dem Alltag nicht mit den wissenschaftlichen Vorstellungen übereinstimmen, umgehen? Die bisherige Forschung dazu zeigt, dass es wichtig ist, zunächst einmal die intuitiven Konzepte zu identifizieren, als nächstes eine kognitive Aktivierung herzustellen, indem man den Lernenden zeigt, dass die intuitiven Konzepte nicht zutreffen können, und zuletzt das korrekte Konzept zu erklären.

Literaturverzeichnis

Carey, S. (2000). Science education as conceptual change. Journal of Applied Developmental Psychology, 21(1), 13-19.

Annenberg Learner. (2019, 13. November). Sadi Carnot and the 2nd Law of Thermodynamics (animation) - Annenberg Learner. https://www.learner.org/series/a-private-universe/1-a-private-universe/s

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