Was weißt Du über die Klitoris? Und wofür kann das gut sein?

Nach wie vor gibt es den sogenannten Orgasmus-Gap: Frauen kommen seltener als Männer zum Höhepunkt. Welche Rolle Klitoris-Wissen dabei spielen könnte, darüber wird in einer neuen Studie berichtet.

Sexspielzeuge, feministische Literatur, Dokumentationen, Podcasts und Onlineplattformen, die zeigen, wie Frauen* sich stimulieren können (z. B. OMGyes) – das soziale Klima scheint immer offener. Sodass der Eindruck entsteht, dass mehr über die ‚weibliche Lust‘ berichtet, dafür geworben und darüber aufgeklärt wird. Auch die Forschung zeigt, wie bedeutsam die Klitoris für das Erleben von sexuellem Vergnügen und Orgasmen ist (Mahar et al., 2020). Gleichzeitig besteht trotz des vermeintlich sex-positiveren sozialen Klimas weiterhin die Orgasmuslücke: Heterosexuelle Frauen erleben seltener Orgasmen als heterosexuelle Männer (siehe "Warum erleben Frauen weniger Orgasmen als Männer?").

Studien legen nahe, dass diese Lücke auf sexuelle Praktiken zurückgeführt werden kann, bei denen die Klitoris zu wenig Beachtung findet (Döring & Mohseni, 2022; Mahar et al., 2020).

Was wissen Menschen über die Klitoris? Was weißt Du?

Um das zu beantworten, sollten Versuchspersonen in einer kürzlich erschienen Studie ein Klitoris-Quiz bearbeiten. Hier wurden Fragen gestellt wie: Wo findest du die Klitoris? Hat sie ungefähr die Größe einer Erbse? Und ist die Klitoris ausschließlich für das Genussempfinden da? Wenn du jetzt dachtest, die Klitoris habe wirklich nur die Größe einer Erbse, dann geht es dir wie den meisten Teilnehmenden der Studie. Trotzdem ist die Antwort leider falsch, die Klitoris ist viel größer als eine Erbse. Aber was kann diese Wissenslücke jetzt praktisch bedeuten?

Hier zeigt sich ein positiver Zusammenhang zwischen Wissen und Orgasmus, allerdings nur für weibliche Versuchspersonen: Je besser sie beim Klitoris-Quiz abgeschnitten haben, desto höher ihre Orgasmusfrequenz. Also, desto häufiger kommen sie laut Selbstbericht zum Höhepunkt. Zumindest, wenn sie masturbieren. Aber wie sieht es beim Sex mit einem männlichen Partner aus? Hier wurde kein Zusammenhang gefunden. Beim Geschlechtsverkehr mit einem Partner wird das Wissen anscheinend weniger genutzt als beim Solo-Sex (Wade et. al., 2005). Wieso ist das so?

Sexuelle Skripte als Barriere für die Anwendung von Klitoris-Wissen

Ein mögliches Hindernis können genderspezifische sexuelle Skripte sein. Damit ist in der vorliegenden Studie die Verinnerlichung von Annahmen ohne biologische Grundlage gemeint, wie z.B. „die Sexualität von Frauen ist komplizierter als die von Männern“ oder „für Männer ist es wichtiger einen Orgasmus zu haben als für Frauen“. Die vorliegende Studie gibt Hinweise auf die Auswirkungen solcher Skripte. Diese Annahmen scheinen für Frauen keine Rolle beim Solo-Sex zu spielen. Es scheint eher so, dass diese Annahmen beim Sex mit Männern aktiviert werden und das Klitoriswissen, das bei der Masturbation hilfreich ist, hier überschatten. Wie kommt es dazu? Zum einen könnten verinnerlichte Skripte wie „für Männer ist es wichtiger einen Orgasmus zu haben…“ Frauen daran hindern, sich selbst zu stimulieren und/oder Partnern zu zeigen, welche Berührungen ihnen am meisten Lust bereiten. Diese Skripte könnten Frauen dazu bewegen, ihre eigene Lust als weniger wichtig zu verstehen. Zum anderen könnte mangelndes Wissen über die Klitoris, Lust und Orgasmen dazu führen, dass diese Skripte fälschlicherweise für biologisches Faktenwissen gehalten („Die Sexualität von Frauen ist komplizierter.“) und daher gar nicht erst hinterfragt werden. Da traditionelle sexuelle Skripte die Lust von Männern betonen (z. B. durch Praktiken wie penetrativen Sex, Sex endet mit Orgasmus vom Mann) kann ein bewusstes oder unbewusstes Befolgen dieser Skripte die Chance auf einen Orgasmus bei Frauen verringern.

Fazit

Das Wissen über die Klitoris ist sowohl bei Frauen als auch bei Männern noch immer eher begrenzt. Dabei kann sich dieses Wissen als durchaus vorteilhaft erweisen, da es einen positiven Einfluss auf das sexuelle Erleben von Frauen hat. Das Wissen über die Klitoris zu fördern, scheint eine erfolgsversprechende Strategie, um die Orgasmuslücke zu schließen. Hierfür ist es auch notwendig, genderspezifische sexuelle Skripte aufzudecken, zu hinterfragen und eigene Skripte zu schreiben für mehr Chancengleichheit auf sexuelles Vergnügen.

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*Die in diesem Beitrag beschrieben Studien beziehen sich auf Menschen mit jeweils biologisch weiblichem und männlichem Geschlecht und einer entsprechenden Identifikation als Frau/Mann.

Literaturverzeichnis

Dienberg, M. F., Oschatz, T., Kosman, E., & Klein, V. (2022). "Does Clitoral Knowledge Translate into Orgasm? The Interplay Between Clitoral Knowledge, Gendered Sexual Scripts, and Orgasm Experience." Journal of Sex & Marital Therapy, 1-13. https://doi.org/10.1080/0092623X.2022.2147112


Döring, N., & Mohseni, M. R. (2022). Der Gender Orgasm Gap. Ein kritischer Forschungsüberblick zu Geschlechterdifferenzen in der Orgasmus-Häufigkeit beim Heterosex. [The gendered orgasm gap. A critical research reviews of gender differences in orgasm frequency in heterosex.] Zeitschrift für Sexualforschung, 35(02), 73-87. https://doi.org/10.1055/a-1832-4771


Mahar, E. A., Mintz, L. B., & Akers, B. M. (2020). Orgasm equality: Scientific findings and societal implications. Current Sexual Health Reports, 12(1), 24–32. https://doi.org/10.1007/s11930-020-00237-9


Wade, L. D., Kremer, E. C., & Brown, J. (2005). The incidental orgasm: The presence of clitoral knowledge and the absence of orgasm for women. Women & Health, 42(1), 117–138. https://doi.org/10.1300/J013v42n01_07