Soziale Medien: Geteilt, aber nicht gelesen - warum fühlen wir uns trotzdem schlauer?
Vielleicht ist es Ihnen auch schon passiert: Sie sehen einen interessanten Post in den sozialen Medien, haben aber gerade keine Zeit, ihn zu lesen. Schnell haben Sie auf „Teilen“ geklickt. Und dann? Dieser kleine Klick erhöht unser gefühltes Wissen, obwohl wir gar nichts gelernt haben!
Instagram, Facebook & Co sind nicht nur ein Weg, um mit Freund:innen in Kontakt zu bleiben, sondern immer häufiger auch ein Ort, an dem wir uns über aktuelle politische Geschehnisse informieren (Pew Research Center, 2022). Wir konsumieren jedoch nicht nur Nachrichten, sondern tragen durch das Teilen von Posts selbst zu mehr Reichweite der Nachrichten bei. Interessant ist, dass ein Viertel der befragten Nutzer:innen schon mindestens einmal einen Post geteilt haben, den sie vorher nicht vollständig gelesen hatten (Ward et al., 2022). Das ist auch für uns selbst folgenreicher, als wir vielleicht denken. Wenn wir einen Post teilen, informieren wir nicht nur potentiell unsere Follower:innen, sondern verändern auch, was wir über das Thema zu wissen glauben. Natürlich lernen Menschen beim Lesen eines Posts etwas über das Thema und schätzen ihr eigenes Wissen danach auch höher ein. Teilen Menschen jedoch einen Post, erhöht das ihr gefühltes Wissen – unabhängig davon, ob sie ihn gelesen haben oder nicht.
Um das zu untersuchen, bedienten sich Wissenschaftler:innen um Adrian Ward (University of Texas) eines Tricks: Sie ließen die Studienteilnehmenden einen Post vermeintlich freiwillig teilen. Zwar konnten diese den Artikel nicht in jedem Fall lesen, sie durften aber eine Illustration zur Überschrift auswählen, bevor sie den Artikel letztlich teilen mussten. Das Teilen erhöhte dann gelesen oder ungelesen ihr gefühltes Wissen (Ward et al., 2022). Das könnte daran liegen, dass wir oft unser Tun als Anhaltspunkt nehmen, um Annahmen über uns selbst zu treffen (Bem, 1972). Wenn Personen einen Post ungelesen teilen, interpretieren sie ihr eigenes Verhalten als Zeichen dafür, dass sie auch ohne Lesen gut informiert sind. Wer würde schon einen Post teilen, von dem er oder sie keine Ahnung hat?
Es kommt auch auf die Umstände an, ob wir unser Verhalten heranziehen, um uns selbst zu beurteilen. Stellen Sie sich vor, Sie rauchen nur ab und an eine Zigarette. Würden Sie sich nun als Raucher:in beschreiben oder ist das Rauchen nur eine Ausnahme? Die Antwort auf diese Frage hängt beispielsweise davon ab, in welcher Umgebung Sie rauchen. Wenn Sie ab und an in der Mittagspause mit Kolleg:innen rauchen, werden Sie sich viel wahrscheinlicher selbst als Raucher:in beschreiben, als wenn Sie ab und an alleine zu Hause rauchen. Privates Verhalten können wir schnell vergessen oder als Ausnahme betrachten. Öffentliches Verhalten erinnern wir dagegen besser. Zusammen führt das dazu, dass Sie sich auch eher als Raucher:in einschätzen würden, wenn Sie mit Kolleg:innen rauchen.
Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass dieser Effekt auch in sozialen Medien zu beobachten ist. In einem Experiment untersuchte das Team um Adrian Ward (2022), ob es einen Unterschied macht, mit wem man einen ungelesenen Post teilt. Die Hälfte der Teilnehmenden teilte den ungelesenen Post mit einem Freund oder einer Freundin, die andere Hälfte mit einer unbekannten Person. Teilen führte auch hier dazu, dass beide Gruppen ihr gefühltes Wissen nach dem Teilen höher einschätzten. Dieser Effekt wurde jedoch noch verstärkt, wenn die Teilnehmenden den Post mit einer befreundeten Person teilten. Dieses Experiment verdeutlicht also, welchen Einfluss das öffentliche Verhalten für die Selbsteinschätzung von Menschen hat. Dies gilt sowohl für die Selbstbeschreibung als Raucher:in, als auch für die Einschätzung des eigenen Wissens. Soziale Medien können diesen Effekt verstärken, da auch hier eine Öffentlichkeit von uns bekannten Menschen unser Handeln beobachten kann.
Was online passiert, bleibt also nicht online, sondern beeinflusst uns und unser gefühltes Wissen. Dieses gefühlte Wissen kann auch unsere späteren Entscheidungen beeinflussen – zum Beispiel, ob wir in einer kommenden Wahl wählen werden (Dreston & Neubaum, 2022). Daher bleibt nur zu empfehlen: Erst lesen, dann posten!
Quellen
Bem, D. J. (1972). Self-perception theory. In L. Berkowitz (Ed.), Advances in experimental social psychology, 6, pp. 1–62. Academic Press. https://doi.org/10.1016/S0065-2601(08)60024-6
Dreston, J. H., & Neubaum, G. (2022). Exploring the link between social media news use, subjective political knowledge and voting intentions. PsyArXiv. https://doi.org/10.31234/osf.io/nf9dx
Social Media and News Fact Sheet. (2022, 14. December). Pew Research Center’s Journalism Project. https://www.pewresearch.org/journalism/fact-sheet/social-media-and-news-fact-sheet/
Ward, A. F., Zheng, J. & Broniarczyk, S. M. (2022). I share, therefore I know? Sharing online content ‐ even without reading it ‐ inflates subjective knowledge. Journal of Consumer Psychology. Advance online publication. https://doi.org/10.1002/jcpy.1321
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