Von Kafka, Zahnärzten, Grammatiklernen, und Peter Pan
„Hä? Wie bitte?“ -- Diese irritierte Reaktion auf den scheinbar zusammenhangslosen Titel ist gerechtfertigt. Die Irritation und Verwirrung ist gleichzeitig das Herzstück neuerer Forschung zu „bedrohten Bedeutungen“ (meaning threats).
Zwei amerikanische Forscher untersuchten den Einfluss „bedrohter Bedeutungen“ auf das Erlernen von Grammatiken (Proulx & Heine, 2009). Bedrohte Bedeutungen bezeichnen hierbei unvorhergesehene, bizarre Ereignisse, die nicht in Einklang mit unserem sinnhaften Verständnis der Welt zu bringen sind. Laut Autoren führt eine solche Sinnbedrohung zu einer verstärkten Suche nach Mustern und Struktur. In ihrer Studie wurden VersuchsteilnehmerInnen zunächst gebeten, eine Kurzgeschichte zu lesen. Die Hälfte der TeilnehmerInnen erhielt eine absurde Geschichte von Kafka („Ein Landarzt“; Kafka, 1918), in der ein Arzt einem unter Zahnschmerzen leidenden Jungen zur Hilfe eilt. Typisch kafkaesk ergibt sich im Laufe der Geschichte, dass der Junge erst keine Zähne hat, die Pferde dem Patientengespräch durch das Fenster zuhören, und schließlich, dass der Junge doch Zähne hat und weißköpfige Würmer darin hausen. Die andere Hälfte der Studierenden erhielt ebenfalls eine Kurzgeschichte über einen Zahnarztbesuch, allerdings enthielt diese keine kafkaesken Züge, keine absurden Wendungen und wurde auch nicht von bizarren Abbildungen (vgl. Abbildung 1) untermalt.
Im zweiten Studienteil schrieben die TeilnehmerInnen dann zunächst Buchstabenketten (z.B., „X M X R T V X M“) mit jeweils 6-9 Buchstaben ab. Die Buchstabenketten enthielten hierbei eine künstliche Grammatik – d.h. die Wahrscheinlichkeit für Buchstaben unmittelbar nacheinander zu stehen war bei bestimmten Kombinationen erhöht (z.B. folgt ein „M“ häufig auf ein „X“). Anschließend wurden neue Buchstabenketten präsentiert, von denen die Hälfte das gleiche und die andere Hälfte ein neues Grammatik-Muster enthielten. Die TeilnehmerInnen sollten angeben, welche Ketten das gleiche Muster wie die abgeschriebenen Ketten enthielten. Wie vermutet, erkannten TeilnehmerInnen in der Kafka-Bedingung das künstliche Grammatikmuster genauer als die TeilnehmerInnen in der nicht-kafkaesken Zahnarztbedingung.
Dieser Unterschied beim Lernen einer künstlichen Grammatik fand sich in einer weiteren Studie auch dann, wenn die Studierenden nicht Kafka lasen, sondern in einem kurzen Essay argumentierten, dass zwei unterschiedliche Personen in ihrem Körper leben. Auch diese Form der bedrohten Bedeutung führte zu genauerem Erkennen des Buchstabenmusters.
Es bleibt abschließend die Frage, was Peter Pan im Titel dieses Beitrags zu suchen hat. Haben Sie‘s erkannt? Wir werden das lieber nicht aufklären und Sie mit einer teilweise bedrohten Bedeutung verabschieden – die Gefahr ist schlicht zu groß, dass Sie heute noch Grammatik lernen wollen.
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