Spieglein, Spieglein an der Wand, wie viel Umweltbelastung entsteht durch meine Hand?
Menschen sind schlecht darin, die Folgen ihres Handelns auf die Umwelt einzuschätzen. Das zeigt sich in den Unterschieden zwischen direkter Selbsteinschätzung und objektiveren Berechnungen mittels ökologischem Fußabdruck. Diese Unterschiede bestehen insbesondere in den Verhaltensbereichen Reisen, Autofahren und Heizen.
Fragt man Menschen, wie nachhaltig oder umweltfreundlich sie ihren Lebensstil einschätzen, so korrelieren diese Selbsteinschätzungen kaum mit objektiveren Schätzungen ihres Einflusses auf die Umwelt. Dies zeigt eine neue Studie aus Belgien (Bleys, Defloor, Van Ootegem, & Verhofstadt, 2018), die Selbsteinschätzungen von 1286 TeilnehmerInnen ihrem ökologischen Fußabdruck gegenüberstellt. Der ökologische Fußabdruck ist ein Maß dafür, wie viele Planeten Erde die Menschheit brauchen würde, wenn alle so leben würden wie die Testperson. Hierbei zeigt sich zwar, dass TeilnehmerInnen, die ihre Lebensweise als nachhaltig einschätzen, insgesamt einen kleineren ökologischen Fußabdruck haben. Dieser Zusammenhang ist allerdings winzig.
Eine genauere Betrachtung zeigt ein differenzierteres Bild: Je nachhaltiger sich TeilnehmerInnen einschätzen, desto weniger belasten sie die Umwelt durch ihre Ernährungsweise und die Menge an Strom und Papier, die sie verbrauchen. Anders sieht es beim Reisen, Autofahren und Heizen aus – hier gibt es keinen Zusammenhang zwischen Selbsteinschätzung und ökologischem Fußabdruck.
Die Studie von Bleys und KollegInnen (2018) wirft wichtige Fragen auf: Warum variiert der Zusammenhang zwischen Selbsteinschätzung und verursachter Umweltbelastung je nach Verhaltensbereich? Welche Prozesse sind dabei involviert? Und warum ist die Korrelation insbesondere bei den Verhaltensweisen gering, die besonders viele Treibhausgase verursachen (Reisen, Autofahren, Heizen)?
Obwohl die Studie keine direkte Antwort auf diese Fragen liefert, sollen hier basierend auf der Literatur zwei Erklärungsansätze erläutert werden: Erstens könnte es sein, dass der Zusammenhang zwischen Selbsteinschätzung und tatsächlicher Umweltbelastung durch mangelhaftes Wissen über die Auswirkungen bestimmter Verhaltensweisen verwässert wird (Truelove & Parks, 2012; Whitmarsh, 2009).
Zweitens könnte es sein, dass die unterschiedlich starken Zusammenhänge mit der Schwierigkeit des Verhaltens zu tun haben (Diekmann & Preisendörfer, 2003). Lokale Lebensmittel einkaufen und Strom sparen sind tendenziell einfache Verhaltensweisen, die keine hohen zeitlichen, finanziellen oder sozialen Kosten mit sich bringen. Folglich ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Menschen, denen Nachhaltigkeit wichtig ist, sich gemäß ihren Überzeugungen verhalten.U mgekehrt kann man argumentieren, dass es strukturelle, soziale und motivationale Gründe schwierig machen, anders zu heizen (z. B. weil man in einer Mietwohnung das Heizsystem nicht wechseln kann), weniger oder gar nicht zu fliegen (z. B. weil man Verwandte auf einem anderen Kontinent hat oder weil das Erkunden von fernen Ländern und Kulturen oft normativ erwünscht ist) oder auf ein eigenes Auto zu verzichten (z. B. weil es vor Ort keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt). Gemäß diesem Erklärungsansatz bringen schwierige Verhaltensweisen Barrieren mit sich, die selbst sehr nachhaltige Personen kaum überwinden können (für eine methodische Interpretation dieses Musters siehe Kaiser & Schultz, 2009).
Um besser zu verstehen, inwiefern diese und andere Erklärungsansätze (z. B. motiviertes Denken, sozial erwünschtes Antworten, weitere methodische Überlegungen) für den Unterschied zwischen selbst eingeschätzter Nachhaltigkeit und ökologischem Fußabdruck verantwortlich sind, ist es wichtig, die Studie zu wiederholen und dabei die möglichen Erklärungen genauer zu betrachten. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse würden wertvolle Hinweise darauf liefern, wo Bildungsmaßnahmen und Kampagnen ansetzen sollten, um nachhaltiges Verhalten möglichst wirksamzu fördern.
Quellen:
Bleys, B. W., Defloor, B., Ootegem, L. V., & Verhofstadt, E. (2018). The environmental impact of individual behavior: Self-assessment versus the ecological footprint. Environment and Behavior, 50(2), 187–212.
Diekmann, A., & Preisendörfer, P. (2003). Green and greenback: The behavioral effects of environmental attitudes in low-cost and high-cost situations. Rationality and Society, 15(4), 441–472.
Kaiser, F. G., & Schultz, P. W. (2009). The attitude–behavior relationship: A test of three models of the moderating role of behavioral difficulty. Journal of Applied Social Psychology, 39, 186–207.
Truelove, H. B., & Parks, C. (2012). Perceptions of behaviors that cause and mitigate global warming and intentions to perform these behaviors. Journal of Environmental Psychology, 32(3), 246–259.
Whitmarsh, L. (2009). Behavioural responses to climate change: Asymmetry of intentions and impacts. Journal of Environmental Psychology, 29(1), 13–23.
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