Das Fenster zum Gehirn – Was Computer in unseren Blicken lesen
Das Süßigkeitenregal im Supermarkt – nicht verwunderlich, dass hier die Blicke zwischen Schokolade, Gummibärchen und Keksen wandern. Aber aus den Blickbewegungen einer Alltagssituation wie dieser einzuschätzen, wie neugierig eine Person ist, scheint selbst für uns Menschen untereinander fast unmöglich. Andreas Bulling und sein Team von der Forschungsgruppe Perceptual User Interfaces am Max Planck Institut für Informatik in Saarbrücken konnten in einem kürzlich veröffentlichten Versuch zeigen, dass Computer uns Menschen auch in dieser Fähigkeit bereits einen Schritt voraus sind. Mithilfe eines Computermodells gelang es ihnen, nur durch Analyse der Blickbewegungen beim Süßigkeitenkauf, vorherzusagen, wie neugierig die Proband*innen waren.
Der Versuch wurde in Kollaboration mit Forscher*innen der Flinders University sowie der University of Southern Australia durchgeführt. Die australischen Forscher*innen um Tobias Loetscher schickten 26 Versuchspersonen mit fünf Dollar auf den Campus, um sich mit dem Geld dort eine Süßigkeit oder eine andere Kleinigkeit zu kaufen. Dabei trugen die Versuchsteilnehmer*innen einen sogenannten Eye Tracker und ein Smartphone bei sich, womit ihre Blickbewegungen aufgezeichnet und gespeichert werden konnten. Diese Daten wurden später vom Computer zur Vorhersage genutzt. Die Forscher*innen sind mit ihrer Arbeit echte Vorreiter, denn vor ihnen konnte noch niemand Neugier mit einem Computermodell vorhersagen. Zusätzlich stellten sie sich der Herausforderung, die Normalität dieser Alltagssituation im Versuchsaufbau abzubilden. Im Gegensatz zur von Störfaktoren weitgehend befreiten Umgebung eines Labors bietet der Alltag viele unbekannte Einflussfaktoren, die die Präzision der Vorhersage durch den Algorithmus stören können. So mussten die Proband*innen auf dem Campus erst den Weg zu einem Laden finden, trafen dabei möglicherweise auf Freunde*innen und mussten im Laden mit den Verkäufer*innen kommunizieren. Da Neugier und andere Persönlichkeitseigenschaften konstante Merkmale sind, erwarteten die Forscher*innen, die Charakteristiken hierfür trotzdem aus den Augenbewegungen extrahieren zu können. Zufällige Störeinflüsse sollten sich im Mittel gegenseitig aufheben.
Und dies gelang ihnen tatsächlich. Als Abgleich zu den Ergebnissen ihres Algorithmus nutzetn die Forscher*innen verschiedene bewährte und empirisch validierte Fragebögen, die einmal die perzeptuelle Neugier im Speziellen erfassten, aber auch die allgemeine Motivation, Neues zu lernen und zu erfahren. Der Algorithmus konnte dabei mit einer Präzision von 52 Prozent zwischen drei verschiedenen Abstufungen der Ausprägung perzeptueller Neugier unterscheiden und mit einer Präzision von 75 Prozent zwischen generell hoher oder niedrig ausgeprägter Neugier einer Person.
Aber wie funktioniert dieser Algorithmus genau? Menschliches Sehen ist ein dynamischer Prozess. Wir fixieren ein Objekt, dann folgt eine Art Sprung, genannt Sakkade, zum nächsten Fixationspunkt. Das Verhältnis von Sakkaden und Fixationen, die Fixationsdauer, das Blinzeln und weitere sogenannte „Merkmale“ unterscheiden sich in ihrem Auftreten von Person zu Person und dienen dem Modell als Eingabe. Die Forscher*innen extrahierten zunächst insgesamt 56 solcher Merkmale von einem zufälligen Teil der Versuchsdaten. Im Zusammenspiel mit der Selbsteinschätzung der Versuchsteilnehmer*innen in den Fragebögen konnte dann ein Modell der Augenbewegungsmuster neugieriger und weniger neugieriger Menschen gelernt werden. Evaluiert wurde dieses Modell anhand der verbleibenden Daten, indem die durch das Programm vorhergesagten Werte für perzeptuelle Neugier wieder mit den Selbsteinschätzungen verglichen wurden.
Dass die Vorhersagen in dieser natürlichen Umgebung klappten, ist für das Forscherteam ein erster wichtiger Schritt in Richtung einer praktischen Anwendbarkeit ihres Modells. In der Zukunft könnten Computer unsere Neugier durch unsere Augenbewegungen vorhersagen und dieses Wissen nutzen, um uns beispielsweise auf neue Produkte aufmerksam zu machen. Das aktuelle Modell soll dabei möglichst nur ein Vorreiter für ein allgemeineres Modell zur gleichzeitigen Erfassung mehrerer Persönlichkeitseigenschaften sein. Das weckt Neugier auf die Zukunft!
Quellen:
Hoppe S., Loetscher T., Morey S.,Bulling A. (2015). Recognition of Curiosity Using Eye Movement Analysis. Adjunct Proceedings of the ACM International Joint Conference on Pervasive and Ubiquitous Computing (UbiComp).
Autor*innen
Artikelschlagwörter
Blog-Kategorien
- Corona (27)
- Für-Kinder (0)
- In-eigener-Sache (8)
- Interviews (11)
- Rechtspsychologie (24)
- Sozialpsychologie (218)
- Sportpsychologie (38)
- Umweltpsychologie (22)