Ich hab‘ recht! Nein, Du hast recht! – Wie Kinder ihre Meinung ändern
Schon manch einer von uns hat erlebt, wie ein Vorschulkind felsenfest behauptet, schon immer über ein bestimmtes Wissen verfügt zu haben, obwohl es dieses Wissen gerade erst erworben hat. Gleichzeitig ändern Kinder ihre Meinung jedoch verhältnismäßig schnell und sind meist recht leicht vom Gegenteil zu überzeugen. Wie passt das zusammen?
Wenn Ihnen eine Person aus Ihrem Bekanntenkreis auf dem Weg zu Ihrem gemeinsamen Lieblingsrestaurant mit großer Selbstsicherheit erzählt, dass sie den kürzesten Weg kennt, dann gehen Sie wahrscheinlich davon aus, dass Sie sie nicht so leicht davon überzeugen können, dass Sie noch einen kürzeren Weg wissen. Wenn ihre Bekanntschaft jedoch nur eine vage Vermutung darüber äußert, wie man wohl am schnellsten ans Ziel kommen könnte, dann gehen Sie wahrscheinlich davon aus, dass Sie sie eines Besseren belehren können. Es erscheint logisch, dass wir an unserer Meinung festhalten, wenn wir sicher sind, Recht zu haben. Ist das allerdings immer so? Wenn wir Kinder anschauen, dann fällt auf, dass sie ihr eigenes Wissen oftmals überschätzen.
Eine Forschungsgruppe der Universitäten von Washington und Lissabon hat sich dieser Frage gewidmet. Dazu hat sie Kindern drei verschiedener Altersgruppen (4-5, 7-8 & 10-11 Jahre) wie auch jungen Erwachsenen eine Schachtel mit Wachsmalstiften gegeben. Die Studienteilnehmenden wurden dann in vier Durchgängen aufgefordert, einen Stift einer bestimmten Farbe aus dieser Schachtel herauszuholen. In den ersten zwei Durchgängen haben Mitglieder des Forschungsteams den gewünschten Stift mit einem gewöhnlichen Farbbegriff beschrieben (z.B. „lila“), sodass es für die Kinder und die jungen Erwachsenen recht einfach war, die Aufgabe zu lösen. In den anderen beiden Durchgängen hat die Forschungsgruppe ein Fremdwort verwendet (z.B. „Chartreuse“), um die gewünschte Farbe zu beschreiben. Dieses kannten mit hoher Wahrscheinlichkeit weder die Kinder noch die jungen Erwachsenen.
Nachdem sich die Teilnehmenden für einen der Stifte entschieden hatten, wurden sie gefragt, wie sicher sie sich denn hinsichtlich ihrer Wahl seien. Während sich die Teilnehmenden aller Altersgruppen recht sicher waren, wenn sie nach bekannten Farbwörtern gefragt wurden, gab es altersabhängige Unterschiede bei den Teilnehmenden, wenn Fremdwörter zur Beschreibung der Farben genutzt wurden. Jüngere Kinder haben in diesem Fall angegeben, sich sicherer zu sein, als ältere Kinder und Erwachsene es taten. Dies bestätigte die Vermutung der Forschenden, dass junge Kinder oftmals eine nicht ganz gerechtfertigte Selbstsicherheit hinsichtlich ihrer Meinungen haben.
Im Anschluss zeigte das Forschungsteam den Kindern und jungen Erwachsenen ein Video, in welchem eine gleichaltrige gleichgeschlechtliche Person zu sehen war, die auch nach einem Wachsmalstift dergleichen Farbe gefragt wurde. In der Hälfte der Durchgänge entschied sich diese Person für die richtige Farbe, in der anderen Hälfte für eine falsche Farbe. Im Anschluss wurden die Teilnehmenden gefragt, ob sie denn glaubten, dass die Person im Video den richtigen Stift gewählt habe. In den Durchgängen, in denen bekannte Farbwörter verwendet wurden, konnten Teilnehmende aller Altersgruppen sicher benennen, ob die Person richtig oder falsch lag. In den Durchgängen, in denen unbekannte Farbwörter verwendet wurden, hat sich hingegen wieder ein interessanter Altersunterschied gezeigt: Jüngere Kinder gingen häufiger davon aus, dass die gleichaltrige Person auf dem Video richtig lag, als ältere Kinder und junge Erwachsene.
Auf die Frage, ob sie ihre Meinung nochmals ändern möchten, änderten nur wenige Teilnehmende ihre Antwort in den Durchgängen, in denen bekannte Farbwörter genannt wurden. Lediglich die jüngsten Teilnehmenden wählten auch hier in 25% der Fälle nochmals einen anderen Stift. Bei den Durchgängen, in denen den Teilnehmenden Fremdwörter genannt wurden, wurde erneut beobachtet, dass jüngere Kinder ihre Meinung sehr viel häufiger änderten als ältere Kinder und Erwachsene.
Der intuitiv angenommene negative Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Sicherheit hinsichtlich des eigenen Wissens und der Bereitschaft, die eigenen Anschauungen zu ändern, scheint demnach bei Kindern noch nicht so ausgeprägt zu sein wie bei Erwachsenen. Vorschulkinder zeigen eine übersteigerte Sicherheit bezüglich ihres Wissens, neigen gleichzeitig aber dazu, dieses Wissen schnell zu revidieren. Aber warum ist das so?
Die Forschungsgruppe aus Washington und Lissabon hat dazu vier mögliche Erklärungen aufgeführt:
1. Es könnte sein, dass Kinder erst mit dem Alter darin besser werden, die Grenzen ihres eigenen Wissens, aber auch die Grenzen des Wissens anderer Menschen zu erkennen. Demnach seien junge Kinder nicht nur übermütig bezüglich ihres eigenen Wissens, sondern auch bezüglich des Wissens anderer, was dazu führen könnte, dass sie sich recht schnell von anderen überzeugen lassen.
2. Eine weitere Erklärung könnte sein, dass Kinder mit dem Älterwerden mehr Informationen verlangen, um ihre Meinungen zu ändern und ihr Wissen zu revidieren. Mit dem Älterwerden können die Kinder die Qualität der dargebotenen Informationen besser einschätzen und können sich gleichzeitig auch besser zurückhalten, um keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Dies würde bedeuten, dass die Kinder im Alter nicht weniger bereit sind, die Meinungen anderer zu übernehmen – sie werden lediglich wählerischer.
3. Damit wir Menschen gut lernen und denken können, sind wir auf eine gewisse Stabilität angewiesen. Wenn Kinder noch recht jung sind, dann müssen sie unglaublich viel und schnell lernen. Dabei wissen sie ganz viele Dinge noch nicht. Wären die Kinder sich bewusst, wie wenig sie tatsächlich wissen, würde sie dies möglicherweise verunsichern und überfordern. Eine etwas übermütige Selbstsicherheit sorgt bei kleinen Kindern daher vielleicht für die wahrgenommene Stabilität, die wir zum Lernen brauchen.
4. Die letzte Erklärung, über die die Forschenden diskutieren, ist, dass es jungen Kindern womöglich schwerer fällt als älteren Kindern, sich alternative Erklärungsmöglichkeiten einfallen zu lassen, was dazu führen könnte, dass sie sich besonders sicher fühlen hinsichtlich ihrer eigenen Antwort. Wenn die Kinder dann jedoch mit einer alternativen Antwort konfrontiert werden, sinkt die Sicherheit bezüglich ihrer zuvor gegebenen Antwort, weswegen sie dann eher dazu neigen, ihre Meinung zu ändern.
Um herauszufinden, welche dieser Erklärungen denn nun tatsächlich zutreffen, ist allerdings mehr Forschung notwendig.
Quelle:
Hagá, S., & Olson, K. R. (2017). Knowing-it-all but still learning: Perceptions of one’s own knowledge and belief revision. Developmental Psychology, 53(12), 2319–2332. http://doi.org/10.1037/dev0000433
Bildquelle:
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