Ich kann dich nicht hören – aber dafür deinem Blick folgen!
Kaum geboren, ertasten Babys die Welt, lauschen sie neuen Stimmen und beobachten sie ihre Mitmenschen. Was ist aber, wenn einer dieser Sinne fehlt? Wie orientieren sich die Kleinen dann in ihrer Umgebung? Eine Studie untersuchte dafür gehörlose Babys und kam zu beeindruckenden Erkenntnissen…
Viele Babys lieben Spielzeuge mit Tönen und Musik. Dabei können Geräusche beeinflussen, worauf sich ein Baby konzentriert. Das ist nicht der Fall bei gehörlosen Babys. Nutzen diese andere Informationen in der Umwelt für ihre Aufmerksamkeitslenkung?
Um das herauszufinden, beobachtete eine Forschungsgruppe in den USA 12 gehörlose Babys im Alter von 7 bis 20 Monaten, bei denen mindestens ein Elternteil auch gehörlos war (Brooks et al., 2019). Zum Vergleich wurden auch hörende Babys untersucht. Die Forschenden analysierten, ob sich die Babys - anstelle von Geräuschen - eher durch die Blickrichtung anderer Personen leiten ließen. In der Studie durften die Babys deswegen eine Person (Versuchsleitung) beobachten, die sich ein Spielzeug ganz genau ansah. Ein zweites Spielzeug auf der anderen Seite des Tisches wurde dagegen von der Person ignoriert. Auf welches Spielzeug würden die Babys zuerst blicken? Würden Sie dem Blick der Versuchsleitung folgen? Videoaufnahmen der Babys zeigten: Die gehörlosen Babys folgten häufiger dem Blick der Versuchsleitung und schauten häufiger auf das von ihr angeschaute Spielzeug als die hörenden Kinder. Außerdem schauten die Gehörlosen häufiger zwischen dem Spielzeug und der Versuchsleitung hin und her.
Hierfür gibt es verschiedene Erklärungsansätze: Zum einen könnte durch den Wegfall des Hörsinns der Sehsinn gestärkt werden. Zum anderen erhalten gehörlose Kinder mehr Informationen über den Sehsinn, da ihre Eltern mit ihnen vermehrt über diesen Sinn kommunizieren. Es ist vielleicht nicht der Wegfall des Hörens, sondern die Betonung des Sehens, der die Kinder aufmerksamer auf die Blickrichtung anderer reagieren lässt. Zudem sind die Kleinen durch die elterliche Verwendung der Gebärdensprache trainiert darin, mehr auf Gesichtsausdrücke und Gestik zu achten.
Die Aufmerksamkeit von gehörlosen Babys wird also zwar nicht durch Geräusche geleitet, jedoch scheinen sie gegenüber hörenden Babys darin einen Vorsprung zu haben, sichtbare Informationen zu nutzen - zum Beispiel, indem sie der Blickrichtung anderer Menschen besser folgen. Da es sich um die erste Studie zu diesem Thema handelt, braucht es weitere bestätigende Forschung, auch, um die Gründe für das Ergebnis näher zu beleuchten.
Quelle:
Brooks, R., Singleton, J. L., & Meltzoff, A. N. (2019). Enhanced gaze-following behavior in Deaf infants of Deaf parents. Developmental Science, 0(0), e12900. https://doi.org/10.1111/desc.12900
Bildquelle:
Autor*innen
Artikelschlagwörter
Blog-Kategorien
- Corona (27)
- Für-Kinder (0)
- In-eigener-Sache (8)
- Interviews (11)
- Rechtspsychologie (24)
- Sozialpsychologie (213)
- Sportpsychologie (37)
- Umweltpsychologie (21)