Mach’ ich das erste Angebot oder lieber nicht? Anker-Effekte in Verhandlungen.
Stellen Sie sich vor, Sie wollen einen gebrauchten VW kaufen. Da sich kein Preisschild am Auto befindet stellt sich die Frage: Schlage ich einen ersten Preis vor? Oder bitte ich die Verkäuferin um ein Angebot? Diese Frage nach dem ersten Angebot ist alles andere als trivial, denn die ersten Minuten haben einen maßgebenden Einfluss auf den weiteren Verhandlungserfolg.
Verhandlungen sind allgegenwärtig. Sie sind ein beinahe unvermeidlicher Bestandteil unseres alltäglichen Lebens. Wir verhandeln das Gehalt mit dem Chef, Verträge mit Geschäftspartnern und den Preis eines Gebrauchtwagens oder Fahrrads. Wir verhandeln auf dem Basar, Flohmarkt oder über eBay-Kleinanzeigen. Bei den meisten dieser Verhandlungen stellt sich die Frage, wer eigentlich beginnt? Sollte ich das erste Angebot unterbreiten? Und wenn ja, wie?
Im Eingangsbeispiel hätten Sie vermutlich der Verkäuferin das erste Angebot überlassen. Das ist ja auch üblich in einer solchen Verkaufssituation. Die psychologische Verhandlungsforschung zeigt allerdings, dass es durchaus sinnvoll sein kann, sich dieser Konvention zu widersetzen. Denn erste Angebote in Verhandlungen können als sogenannte "Anker" fungieren. Das erste Angebot verankert den Gegenüber und bewirkt einen entscheidenden Verhandlungsvorteil (Galinsky & Mussweiler, 2001).
Von Ankern spricht man generell, wenn das Urteil einer Person systematisch durch eine numerische Zusatzinformation beeinflusst wird. So schätzen Immobilienmakler beispielsweise ein Haus weit wertvoller ein, wenn vorab zusätzlich eine höhere Zahl präsentiert wurde. Ein ähnlicher Effekt zeigt sich bei der Wertschätzung eines Autos durch erfahrene KFZ-Mechaniker oder bei der Strafbemessung von Richtern. Das Urteil der Richter war selbst dann verzerrt, wenn sie selber den Anker durch Würfeln generierten.
In Verhandlungen zeigt sich analog, dass das erste Angebot als Anker wirken kann. Beginne ich mit einem Angebot von 6.000€ (statt 8.000€) für den Gebrauchtwagen, fällt der endgültige Verkaufspreis stärker zu meinen Gunsten aus (Galinsky & Mussweiler, 2001). Je ambitionierter ich beginne, desto stärker ist dieser Vorteil (aber Vorsicht: Wer zu extrem beginnt, vergrault womöglich den Gegenüber).
In einer aktuellen Forschungsarbeit haben wir untersucht, in wie weit die Präzision des Angebotes den Anker beeinflusst. Es zeigt sich, dass numerische Präzision die Ankerwirkung noch verstärkt. Präzise erste Angebote, wie z.B. 6.135€, erscheinen plausibler, fairer und besser durchdacht als (ge)runde(te) Zahlen, wie z.B. 6.000€. Als Folge bewegt sich der Empfänger des Angebots umso stärker auf den Beginnenden zu. Das Einstiegsangebot verankernd also besonders stark wenn eine präzise statt einer runden Zahl gewählt wird (Loschelder, Stuppi, & Trötschel, in press).
Zusammengefasst: Machen Sie das erste Angebot. Werfen Sie einen Anker, werfen Sie diesen weit und wählen Sie vor allem ein spitzes Modell (ein präzises Angebot) – diese spitzen Anker greifen besonders stark.
Quellen:
Galinsky, A. D., & Mussweiler, T. (2001). First offers as anchors: The role of perspective-taking and negotiator focus. Journal of Personality and Social Psychology, 81(4), 657-669.
Loschelder, D. D., Stuppi, J., & Trötschel, R. (in press). "14,875€ ?!" Precision boosts the anchoring potency of first offers. Social Psychological and Personality Science.
Autor*innen
Artikelschlagwörter
Blog-Kategorien
- Corona (27)
- Für-Kinder (0)
- In-eigener-Sache (8)
- Interviews (11)
- Rechtspsychologie (24)
- Sozialpsychologie (216)
- Sportpsychologie (37)
- Umweltpsychologie (22)