Siehst du nicht, dass ich arbeite? Störende Unterbrechungen bei der Arbeit – und als was wir sie noch betrachten können

Wer kennt es nicht: Man ist gerade hochkonzentriert bei der Arbeit, so richtig im Flow, und plötzlich klopft jemand an die Tür und will etwas von einem. Schwups, schon ist man raus. Ärgerlich. Dass solche Unterbrechungen bei der Arbeit negative Effekte auf unsere Leistung und unser Wohlbefinden haben können, wurde bereits mehrfach beleuchtet (Puranik et al., 2020). Aber können Unterbrechungen nicht auch Chancen mit sich bringen? Und sollten wir dabei vielleicht auch mal die Perspektive und Gründe der Unterbrechenden betrachten?

Neulich erzählte mir ein Bekannter, wie störend er Unterbrechungen durch andere bei seiner Arbeit findet und dass es ihn nervt, ständig abgelenkt zu werden. Ich bot ihm daraufhin eine neue Perspektive an: Könntest du solche Unterbrechungen nicht als Gelegenheit für eine Stärkung eurer kollegialen Beziehung nutzen? Er schaute mich verwundert an.

Bisher standen vor allem die von ihm genannten negativen Effekte von Unterbrechungen bei der Arbeit aus Sicht derer, die unterbrochen werden, im Fokus. Aber warum empfinden wir Unterbrechungen als störend? Wir haben meist weder die Kontrolle über das Timing noch den Inhalt der Unterbrechung, und häufig treten Unterbrechungen auf, wenn es uns gerade am wenigsten passt. Sie stören unseren Arbeitsprozess und lenken uns von unserer eigentlichen Aufgabe ab (eine Übersicht über die negativen Effekte findet sich zum Beispiel in Puranik et al., 2020). Daher war die Empfehlung bisher ganz klar: Um negative Effekte auf Leistung (zum Beispiel Verzögerung in der Fertigstellung einer Aufgabe) und Wohlbefinden (zum Beispiel Verärgerung) so gering wie möglich zu halten, sollten Unterbrechungen auf ein Minimum reduziert werden (z.B. Pachler et al., 2018; Puranik et al., 2020).

Doch lässt sich in neuerer Forschung ein Perspektivwechsel beobachten. Aktuelle Arbeiten befassen sich auch mit den positiven Seiten von Unterbrechungen, sowohl aus Sicht der Unterbrochenen (z.B. Puranik et al., 2021), als auch aus Sicht der Unterbrechenden (Toebben et al., 2024). Die (guten) Gründe für eine Unterbrechung aus Sicht derer, die unterbrechen, sind dabei vielfältig. Und genau damit haben sich Toebben und Kolleg:innen (2024) beschäftigt. Denn der bisher eher negative einseitige Fokus auf Unterbrechungen wird dem komplexen Konstrukt nicht gerecht und vernachlässigt dadurch mögliche Chancen. Die Autor:innen schlagen daher eine Klassifizierung vor, die die Gründe der Unterbrechenden in den Vordergrund stellt.

Sie unterscheiden zum einen zwischen zwei foci, also wem die Unterbrechung nützen soll: Denen, die unterbrechen oder denen, die unterbrochen werden. Zum anderen unterscheiden sie zwischen drei Inhaltsbereichen:

  1. Leistung. Mitarbeitende sind generell bestrebt gute Arbeit zu leisten. Um Probleme bei Aufgaben zu lösen, können aufgabenrelevante Informationen mit anderen ausgetauscht werden. Beispielsweise kann man um Hilfe bitten oder aber auch anderen sein Wissen zur Verfügung stellen. In beiden Fällen kann die Arbeitsleistung trotz Unterbrechung verbessert werden. 
  2. Zugehörigkeit. Menschen wollen dazugehören. Auch bei der Arbeit. Zum einen können durch einen sozialen Austausch bei Unterbrechungen Kontakte geknüpft und Beziehungen intensiviert werden, wodurch das eigene Zugehörigkeitsgefühl gestärkt werden kann. Zum anderen kann man durch soziale Interaktionen auch anderen helfen sich akzeptiert und inkludiert zu fühlen, beispielsweise indem man jemandem Anerkennung für seine Arbeit entgegenbringt. 
  3. (Hedonisches) Wohlbefinden. Mitarbeitende wollen sich gut bei der Arbeit fühlen. Negative Gefühle sollen demnach reduziert und positive Gefühle gesteigert werden. Die soziale Komponente von Unterbrechungen kann zum Beispiel genutzt werden, um sich emotionale Unterstützung bei Kolleg:innen zu holen, nachdem man durch Vorgesetzte kritisiert wurde. Andererseits kann man Kolleg:innen auch Mitgefühl entgegenbringen und emotionale Unterstützung anbieten, wenn diese beispielsweise gerade eine stressige Phase durchmachen.

Durch diese Klassifizierung werden demnach sechs verschiedene Gründe (zwei foci pro Inhaltsbereich) für Unterbrechungen bei der Arbeit aus Sicht derer, die unterbrechen, betrachtet. Für eine Unterbrechung muss natürlich nicht nur ein einziger Grund vorliegen, die Gründe treten auch in Kombination auf. Beispielsweise können Probleme bei einer Aufgabe besprochen werden, von denen beide Mitarbeitenden gleichermaßen betroffen sind. Der Austausch kann beiden Parteien helfen ein Problem zu lösen, auch wenn die Unterbrechung die eigentliche Arbeit stört.

Mein Bekannter könnte also davon profitieren die Unterbrechungen bei seiner Arbeit vor diesem Hintergrund zu betrachten. Mein Fazit zu diesem Thema ist demnach: Die Perspektive zu wechseln und die Gründe der Unterbrechenden zu hinterfragen, kann helfen die Unterbrechungen nicht per se als störend zu empfinden. Stattdessen könnten Unterbrechungen beispielsweise als Chance für Wissenszuwachs oder Stärkung der kollegialen Beziehung angesehen werden. Und da wir nicht immer nur die Unterbrochenen sind, sondern auch die, die unterbrechen, sollten wir uns bewusst machen, dass ein sozialer (Ressourcen-)Austausch am Arbeitsplatz ein Geben und Nehmen ist, von dem beide Seiten profitieren können.

Literaturverzeichnis

Pachler, D., Kuonath, A., Specht, J., Kennecke, S., Agthe, M., & Frey, D. (2018). Workflow interruptions and employee work outcomes: The moderating role of polychronicity. Journal of Occupational Health Psychology, 23(3), 417–427. https://doi.org/10.1037/ocp0000094

Puranik, H., Koopman, J., & Vough, H. C. (2020). Pardon the interruption: An integrative review and future research agenda for research on work interruptions. Journal of Management, 46(6), 806–842. https://doi.org/10.1177/0149206319887428

Puranik, H., Koopman, J., & Vough, H. C. (2021). Excuse me, do you have a minute? An exploration of the dark- and bright-side effects of daily work interruptions for employee well-being. Journal of Applied Psychology, 106(12), 1867–1884. https://doi.org/10.1037/apl0000875

Toebben, L., Casper, A., Wehrt, W., & Sonnentag, S. (2024). Reasons for interruptions at work: Illuminating the perspective of the interrupter. Journal of Organizational Behavior. Advance online publication. https://doi.org/10.1002/job.2819

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