Sind Erstgeborene intelligenter als ihre jüngeren Geschwister? Und wenn ja, warum?
Seit den 1970-er Jahren streiten sich Forscher/-innen, ob erstgeborene Kinder intelligenter sind als ihre jüngeren Geschwister und wie solch überraschende Ergebnisse erklärt werden können. Norwegische Forscher/-innen lüften nun das Rätsel mit IQ-Daten der gesamten männlichen Bevölkerung der Geburtsjahrgänge 1967–1976.
Die Frage, ob erstgeborene Geschwister im Durchschnitt intelligenter sind als ihre jüngeren Brüder und Schwestern, hat Wissenschaftler/-innen über Jahrzehnte fasziniert und ebenso zu heftigem Streit geführt. Der erste Bericht, dass der IQ mit ansteigender Geburtenfolge abnimmt, stammt von einer vor 40 Jahren publizierten Studie aus den Niederlanden (Belmont & Marolla, 1973). Die bekannteste Erklärung der IQ-Abnahme mit der Geburtenrangfolge wird vom Ressource Dilution Model (Ressourcen-Verminderungs-Theorie) beschrieben. Nach der zweiten Geburt haben die Eltern bereits weniger Ressourcen für ihre beiden Kinder als noch für das Erstgeborene vor der Geburt des Geschwisters. Erstgeborene profitieren somit von der Zeit als sie noch die alleinige Aufmerksamkeit der Eltern genießen konnten.
Die Gegner des Ressource Dilution Models prangern hingegen an, dass wichtige Faktoren bei den Analysen nicht berücksichtigt worden sind: Beispielsweise würden weniger intelligente Eltern eine größere Anzahl an Kindern zur Welt bringen als intelligentere Eltern. Die Geschwisterunterschiede hätten somit nichts mit der Abnahme der elterlichen Aufmerksamkeit zu tun, sondern seien ausschließlich eine Folge dieses Selektionseffekts. Die Unterschiede seien somit auch nur zwischen den Familien zu beobachten und nicht zwischen den Kindern innerhalb einer Familie. Auch von anderer Seite kommt Kritik: Biologisch orientierte Forscher/-innen sehen größere Risiken bei Nachgeborenen, da die Mutter aufgrund der früheren Geburten mehr Antikörper in sich trage. Dies löse eine stärkere Immunabwehr bei nachfolgenden Schwangerschaften aus und beeinträchtige die Hirnentwicklung der jüngeren Geschwister in der vorgeburtlichen Zeit.
Norwegischen Forscher/-innen gelang nun die Streitfrage zu klären. Hierzu untersuchten sie IQ-Daten der wehrpflichtigen männlichen Bevölkerung der Geburtsjahrgänge 1967–1976 in Norwegen – von insgesamt über 250'000 Männer im Alter von 18-19 Jahren (Kristensen & Bjerkedal, 2007). Die Forscher/-innen fokussierten dabei auf Unterschiede innerhalb von Geschwisterpaaren. Dieses Vorgehen hilft den oben genannten Selektionseffekt auszuschließen – beide Geschwister teilen schließlich die gleichen Eltern. Bei dieser Art von Analysen schnitten die erstgeborenen Geschwister um 2.3 IQ Punkte besser ab als die Zweitgeborenen. Mit Hilfe des riesigen Datenmaterials gelang es zudem den biologischen Erklärungsansatz zu widerlegen: Wurden ausschließlich Zweit- und Drittgeborene untersucht, deren ältestes Geschwister vor ihrer Geburt verstorben war, schnitten sie im Test gleich gut ab als wären sie selber Erst- bzw. Zweitgeborene – ein deutlicher Beleg dafür, dass die soziale Rangfolge unter den Geschwistern innerhalb einer Familie die entscheidende Rolle spielt und nicht, wie viele ältere Geschwister vorher schon geboren worden sind.
Quellen:
Belmont, L., & Marolla, F. A. (1973). Birth order, family size and intelligence. Science, 182, 1096-1101.
Kristensen, P., & Bjerkedal, T. (2007) Explaining the relation between birth order and intelligence. Science, 317, 1717.
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