So isser, der Ossi! Isser echt so, jeder Ossi? Gegen Pauschalisierungen!
Das Cover des SPIEGEL mit ebendieser Aussage („So isser, der Ossi!“) und Deutschland-Fischerhütchen, welches im Sommer 2019 erschienen ist, hatte vermutlich genau die Intention, das zu erreichen, was im Anschluss folgte: Dass ganz Deutschland darüber diskutiert. Letztendlich wissen wir aus zahlreichen Studien in der Sozialpsychologie und anderen Disziplinen, dass pauschalisierende Aussagen, wie sie in der entsprechenden Ausgabe des SPIEGEL auch getätigt wurden - dass sich der “Ossi” an sich als Mensch zweiter Klasse und ungerecht behandelt und abgehängt fühlt etc. - in den allerseltensten Fällen zutreffen.
In der Tat zeigen (repräsentative) Umfragen, dass im Durchschnitt fremdenfeindliche Einstellungen und insgesamt Übergriffe gegen z.B. AsylbewerberInnen im Osten Deutschlands stärker ausgeprägt sind bzw. häufiger vorkommen als im Westen. Allerdings kann dies auch daran liegen, dass in ostdeutschen Bundesländern häufiger ungünstige soziostrukturelle Bedingungen herrschen als in westdeutschen: Beispielsweise konnte eine kürzlich veröffentlichte Studie von Jonas Rees und Kollegen (2019) zeigen, dass insbesondere in Gegenden, in denen die Arbeitslosenquote hoch und der AusländerInnenanteil gering ist, die Wahlergebnisse einer rechtspopulistischen Partei besonders hoch ausfallen.
Wie sieht es aber mit ganz alltäglichen, kleinen Hilfeleistungen aus? Stellen Sie sich vor, Sie finden einen Brief. Dieser ist adressiert an ein Projekt für Flüchtlingsintegration. Der Brief ist glücklicherweise bereits frankiert, Sie müssten also nur zum nächstgelegenen Briefkasten gehen und den Brief einwerfen. Würden Sie dies tun? Wie würden Sie handeln, wäre der Brief adressiert an ein Projekt mit dem Namen „Zuwanderungsstopp“? Wir haben uns kürzlich die Frage gestellt, ob es einen Unterschied macht, wo solche Briefe „verloren“ werden und haben in zwei Studien insgesamt 800 in West- und Ostdeutschland ausgelegt, also vermeintlich verloren. Im Vorfeld war unsere Annahme klar: Aus den ostdeutschen Regionen würden mehr Briefe für das Zuwanderungsstopp-Projekt wiederkommen, aus westdeutschen Bundesländern sollten uns demnach mehr Briefe für das Flüchtlingsintegrationsprojekt wieder erreichen. Das war aber absolut nicht das Ergebnis! Vielmehr kamen sowohl aus Bremen als auch aus Dresden viel mehr Briefe für das Flüchtlingsintegrationsprojekt zurück als für das Zuwanderungsstopp-Projekt und aus eher ländlichen Regionen Niedersachsens und Sachsens gab es keine statistisch bedeutsamen Unterschiede (Hellmann et al., 2019).
So überrascht wir selbst über diese Ergebnisse waren, so sehr nahmen wir sie auch zum Anlass, über unsere eigenen Vorannahmen zu reflektieren - was wir denn zuvor über “den Ossi” gedacht haben, wie er so ist. Zudem scheinen geäußerte Einstellungen nicht immer tatsächlichem (Hilfe-)Verhalten entsprechen zu müssen. Mit anderen Worten: Vermeintlich ablehnende Einstellungen sind nicht immer das Gegenteil fördernder Handlungen.
Quellen:
Hellmann, J. H., Forthmann, B., Knausenberger, J., Hellmann, D. F., Rees, J. H., Gansel, E., Back, M. D., & Echterhoff, G. (2019). Support for refugee integration in West and East Germany: Results from two lost letter studies. Social Psychology. Advance online publication. https://doi.org/10.1027/1864-9335/a000397
Rees, J. H., Rees, Y. P. M., Hellmann, J. H., & Zick, A. (2019). Climate of hate: Similar correlates of far right electoral support and right-wing hate crimes in Germany. Frontiers in Psychology, 10: 2328. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2019.02328
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