Vom Pazifisten zum Kriegstreiber binnen Minuten
Täglich geben wir unsere Einstellungen und Werte preis; im Gespräch mit Freunden und Kollegen, in Fragebögen oder beim Liken auf Facebook. Und haben wir unsere Einstellungen erst einmal ausgedrückt, werden sie zur Wirklichkeit. Auch wenn wir sie nie wirklich ausgedrückt haben...
Der eine kann Putins Vorgehen in der Ukraine verstehen, die andere ist darüber entsetzt. Und auch an Porschefahrern, Karnevalisten und grobkörnigen Haferflocken scheiden sich die Geister. Einstellungen und Werte kennzeichnen uns als Menschen. Sie sind Teil unseres Selbst, unterscheiden uns von anderen Menschen und sagen sogar unser Verhalten vorher. Doch können wir uns darauf verlassen, wenn sich unsere Bekannten heute ablehnend gegenüber Putin und Haferflocken äußern? Oder müssen wir befürchten, dass sie morgen genau das Gegenteil vertreten?
Eine Studienreihe schwedischer Psychologen lässt gehörige Zweifel an der Substanz unserer Einstellungen und Werte aufkommen. In einem Experiment füllten Probanden einen Fragebogen zu sozial kontroversen Themen aus. Die Probanden bekamen zunächst zwölf Aussagen zu lesen: „Die Gewalt, die Israel im Umgang mit der Hamas anwendet, ist trotz palästinischer Zivilopfer vertretbar.“ oder „In Ländern, in denen Prostitution legal ist, ist das Bezahlen für sexuelle Handlungen moralisch vertretbar.“ Auf einer Skala drückten die Probanden dann ihre Zustimmung bzw. Ablehnung gegenüber diesen Aussagen aus.
Anschließend wurden die Teilnehmenden gebeten, zurückzublättern und die Angaben laut vorzulesen. Mit einem kleinen Trick wurden allerdings die Aussagen, nicht jedoch die Angaben ausgetauscht. So stand infolge der Manipulation nun bei zwei der zwölf Aussagen das logische Gegenteil der vorherigen Aussage (z. B. „Die Gewalt, die Israel im Umgang mit der Hamas anwendet, ist wegen der palästinischen Zivilopfer nicht vertretbar.“). Die Probandinnen und Probanden lasen also laut das Gegenteil der zuvor angegebenen Einstellung vor. Aber das muss ihnen doch auffallen, oder?
Obwohl die Instruktionen die Probanden tendenziell ermutigten, ihr Misstrauen gegenüber dem Fragebogen auszudrücken, bemerkte nicht einmal ein Drittel der Teilnehmerinnen, dass zwei Aussagen umgekehrt wurden. Der wohl heftigere Befund kommt jedoch bei der Auswertung der Begründungen zum Vorschein. Die Teilnehmerinnen begründeten bereitwillig „ihre“ Meinung und lieferten stützende Argumente für die gänzlich neue Position.
Eine Person, die eben noch ihre Ablehnung gegenüber militärischen Maßnahmen ausdrückte, mag im nächsten Moment genau diesen militärischen Maßnahmen zustimmen, sobald sie denkt, sie habe dies vorher schon getan. Die Absurdität des Phänomens liegt vermutlich darin, dass Menschen ein Bedürfnis haben, konsistente und zeitlich stabile Einstellungen zu besitzen. Und so stehen sie eben zu ihrem Wort, selbst wenn sie es gar nicht gesagt haben – und die Einstellungen erweisen sich als weit weniger stabil als selbst angenommen.
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