Wie lässt sich das Wahlverhalten unentschlossener Wählerinnen und Wähler vorhersagen?
Kann es sein, dass unentschlossene Personen in Wirklichkeit ihre Entscheidung schon getroffen haben, ohne es selber zu wissen? Einige Sozialpsychologen glauben, dass sich diese unbewusste Entscheidung mit modernen Methoden erfassen und zur Wahlvorhersage nutzen lässt. Funktioniert das wirklich?
In wenigen Tagen findet die Bundestagswahl statt. Gehören Sie auch zu den zahlreichen Wählerinnen und Wählern, die noch nicht wissen, welcher Partei Sie Ihre Stimme geben werden? Was gibt den Ausschlag dafür, dass Sie sich letztlich für eine bestimmte Partei und gegen alle anderen entscheiden?
Die Vorhersage des Wahlverhaltens unentschlossener Wählerinnen und Wähler ist seit langer Zeit eine Herausforderung für Demoskopen. Es ist schwierig, das Wahlverhalten von Personen vorherzusagen, die behaupten, nicht zu wissen, wen sie wählen werden. Im Jahr 2008 schlug ein Team von Sozialpsychologen eine spektakuläre Lösung für dieses Problem vor (Galdi et al., 2008). Die Forscher nahmen zwei Dinge an: Erstens, unentschlossene Wählerinnen und Wähler sind in Wirklichkeit bereits entschlossen – sie wissen es nur noch nicht. Zweitens, diese unbewusste Wahltendenz lässt sich in Form sogenannter impliziter Einstellungen – eine Art Bauchgefühl – mit einer Variante eines modernen Verfahrens (dem sogenannten Impliziten Assoziationstest) erfassen. Dieses Verfahren misst die Reaktionszeiten auf eingeblendete Bilder, z.B. von Politikern. Diese lassen sich nutzen um beispielsweise Wahlverhalten vorherzusagen.
Thematisch ging es in der Studie von Galdi und Kollegen um eine mögliche Erweiterung einer amerikanischen Militärbasis in der italienischen Stadt, in der die Studie durchgeführt wurde. Tatsächlich deutete sich das erwartete Ergebnis an: Implizite Einstellungen sagten vorher, ob unentschlossene Probandinnen und Probanden eine Woche später angeben würden, für oder gegen die Erweiterung der Militärbasis zu sein (oder weiterhin unentschlossen).
Obwohl die Forscher in dieser Studie gar kein Wahlverhalten untersuchten, sondern lediglich eine unverbindliche Meinungsbekundung, erregten diese Befunde großes Aufsehen. Ein jahrelang bestehendes Problem der Wahlforschung schien gelöst. Doch lässt sich dieses Ergebnis tatsächlich auch für tatsächliches Wahlverhalten in wichtigen politischen Wahlen wiederholen? Ein deutsch-amerikanisches Forschungsteam untersuchte diese Frage sowohl bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl als auch bei der Bundestagswahl 2009 in Deutschland (Friese et al., 2012). Das Ergebnis war ernüchternd: Eine einfache Frage nach der Einstellung gegenüber den politischen Kandidaten sagte das Wahlverhalten gut vorher. Implizite Einstellungen konnten diese Prognose nicht wesentlich verbessern – weder für unentschlossene noch für entschlossene Wählerinnen und Wähler. Eigentlich ist das auch gar nicht so erstaunlich, denn eine Reihe von Forschungsarbeiten hat gezeigt, dass implizite Einstellungen eher Verhaltensweisen vorhersagen können, die spontan erfolgen oder ohne volle Kontrolle der ausführenden Personen. Beides trifft aber auf das Kreuz in der Wahlkabine nicht zu. Das Rätsel über die Vorhersage des Wahlverhaltens unentschlossener Wählerinnen und Wähler bleibt also vorerst ungelöst.
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