Zeitweise auf Zeitreise – Warum schweifen unsere Gedanken in die Zukunft?

Schweifen unsere Gedanken ab, sind wir unaufmerksam und machen Fehler. Das Abschweifen unterbricht uns, hindert und stört. Aber das ist nur eine Seite des Phänomens, das uns verdächtig oft in die Zukunft denken lässt. 

Im gähnend langweiligen Redefluss des Mathelehrers fällt dir auf, wie seltsam er das Wort „Logarithmus“ ausspricht. Du denkst dir, es klingt etwas nach „lockerer Rhythmus“, was dich an ein African-Summer-Festival erinnert, auf das du dieses Jahr mit Freunden gehen willst. Aber sind die Tickets eigentlich schon erhältlich? Die plötzliche Stille reißt dich mal wieder schlagartig aus deinen Gedanken. Hättest du jetzt bloß eine Ahnung, was du gefragt wurdest, während deine Gedanken aus dem Raum gewandert sind. 

Solche Momente sind nicht die Ausnahme, denn nahezu die Hälfte unseres Alltags sind wir mit unseren Gedanken nicht bei der Sache (Killingsworth & Gilbert, 2010). In Vorlesungen, Gesprächen, am Arbeitsplatz, beim Lesen oder auf dem Fahrrad versinken wir in Gedanken und hören weg, verpassen Themen, Signale, Stichwörter, und leisten uns Patzer. Folglich könnte man das Abschweifen unserer Gedanken im alltäglichen Leben als einen großen Störfaktor betrachten. Doch vielleicht könnte es auch hilfreich sein, wenn wir abschweifen.

Wie viele psychische Phänomene erfüllt auch das gedankliche Abschweifen möglicherweise einen Zweck. Einen schlüssigen Hinweis für diese Überlegung liefert eine Studie, in der Proband*innen, deren Gedanken während vorgegebenen Aufgaben abschweiften, systematisch von ihren Gedankeninhalten berichteten (Baird, Smallwood, & Schooler, 2011). Es stellte sich heraus, dass die meisten der wandernden Gedanken die Zukunft betrafen, während den Proband*innen vergangene Erlebnisse seltener in den Sinn kamen. Dabei schweiften die Gedanken laut Angabe der Proband*innen vor allem zu kurz bevorstehenden, persönlich relevanten Ereignissen und Zielen.

Diese Befunde nähren den Verdacht, dass das gedankliche Abschweifen nützlich für unsere alltägliche Planung sein kann. Der mentale Ausflug erschwert es dir zeitweise, dich voll auf den Unterricht konzentrieren zu können. Doch dadurch, dass du beiläufig an die Festival-Tickets gedacht hast, kannst du sie vielleicht noch rechtzeitig kaufen und dich mit deinen Freunden auf das Event einstimmen. Das klingt plausibel, aber ist ein solcher Zweck des Abschweifens schon belegt? 

Nein, es sind noch Studien nötig, die überprüfen, ob abschweifende Gedanken uns tatsächlich dabei helfen, unsere Handlungsziele häufiger, schneller oder besser zu erreichen. Eine weitere Frage wäre, ob Personen, die ein stärkeres Bedürfnis nach Planungssicherheit haben, ihre Gedanken häufiger wandern lassen als andere.

Es sind also noch nicht alle Fragen zum Zweck des Abschweifens geklärt. Das Phänomen bietet uns zumindest reichlich Raum für Gedanken an die Zukunft. Denkbar ist, dass sich darunter auch persönliche Entscheidungen und Pläne tummeln. So aktiviert dein Geist möglicherweise kurz den Autopiloten, um deine Flugroute zu planen oder anzupassen. Mit dieser Vorstellung mag es dir vielleicht etwas leichter fallen, deinem Geist die nächsten kleinen Unaufmerksamkeiten bei Besprechungen, Vorträgen oder beim Lesen dieses Blogs zu verzeihen. Zwar ringt das Hier und Jetzt oft vergeblich um unsere Aufmerksamkeit, andererseits blicken wir derweil häufig in unsere Zukunft. Vermutlich nicht ohne Grund!

Literaturverzeichnis

Baird, B., Smallwood, J., Schooler, J. W. (2011). Back to the future: Autobiographical planning and the functionality of mind-wandering. Consciousness and Cognition 20(2011), 1604-1611. https://www.doi.org/10.1016/j.concog.2011.08.007

Killingsworth, M. A., & Gilbert, D. T. (2010). A wandering mind is an unhappy mind. Science, 330(6006), 932. https://www.doi.org/10.1126/science.1192439

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