Führen Kalorienzähler-Apps zu mehr Essstörungen?
Yazio, Lifesum und Co werben damit, dass sie uns unkompliziert und schnell beim Bilden neuer Ernährungsgewohnheiten oder beim Abnehmen unterstützen können. Klingt super – aber klappt das wirklich so wie gedacht? Und noch wichtiger: könnte der übermäßige Fokus auf die eigene Ernährung sogar dafür sorgen, dass man ein gestörtes Essverhalten entwickelt?
Abnehmen oder zumindest gesünder zu essen gehört Jahr für Jahr zu den beliebtesten Neujahrsvorsätzen, aber viele scheitern an der Umsetzung. Mit Kalorienzähler-Apps – so werben zumindest die Hersteller:innen – kann eine gesündere Ernährung im Handumdrehen gelingen. Tatsächlich zeigen Studien, dass die Nutzung von Ernährungsapps zu einer gesünderen Ernährung führt, beim Abnehmen hilft und auch entsprechende Blutwerte verbessert (Villinger et al., 2019).
Trotzdem stehen viele Personen solchen Apps eher skeptisch gegenüber. Ein Grund dafür ist die Sorge, dass die Nutzung dieser Kalorienzähler langfristig dazu führen könnte, dass man eine Essstörung entwickelt. Sie befürchten, dass man sich durch die App zu sehr auf die eigene Ernährung fokussiert und sich zunehmend schlecht fühlt, wenn man zu viel oder zu ungesund isst (König et al., 2021).
Auf den ersten Blick scheint eine aktuelle Übersichtsarbeit diese Annahme zu bestätigen: Die Autorinnen fassten Ergebnisse von 38 Studien zusammen und fanden dort einen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Ernährungsapps und Symptomen einer Essstörung sowie negativen Gedanken über das eigene Aussehen (Anderberg et al., 2025). Bedeutet das also, dass diese Apps Essstörungen auslösen?
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich ein etwas anderes Bild. Die meisten Studien, die die Autorinnen fanden, befragten die Teilnehmenden einmalig, ob sie entsprechende Apps nutzten, und erfassten verschiedene Symptome. Diese Studien berichteten mehrheitlich, dass Nutzer:innen von Ernährungsapps häufiger Symptome einer Essstörung aufwiesen als Personen, die keine solchen Apps nutzten. Daraus lässt sich allerdings noch kein kausaler Zusammenhang ableiten. Tatsächlich könnte es auch einfach so sein, dass Personen, die ihre Ernährung gern kontrollieren möchten – was in einer extremen Form auch ein Symptom einer Essstörung darstellt– gezielt nach Apps suchen, die sie dabei unterstützen.
Diese Annahme stützen auch andere Studien, die die Autorinnen der Überblicksarbeit auswerteten. In diesen Studien teilten die Studienteams die Teilnehmenden zufällig in Gruppen ein, die entweder eine App zu nutzen beginnen oder keine App nutzen sollten. Über Wochen bis Monate hinweg entwickelten die Teilnehmenden der Studien keine neuen Symptome einer Essstörung, egal ob sie eine App nutzten oder nicht.
Die zunehmende Beliebtheit von Kalorienzählern und anderen Ernährungsapps wird also vermutlich nicht dazu beitragen, dass mehr Personen an Essstörungen erkranken. Hersteller:innen solcher Apps sollten sich allerdings der besonderen Verantwortung bewusst sein, die mit dem Vertrieb einher geht. Es wäre sinnvoll, Screening-Fragebögen einzubauen, um Personen, die bereits vor Beginn der Nutzung Symptome einer Essstörung aufweisen, von der Nutzung abraten zu können und sie auf entsprechende Hilfsangebote zu verweisen.
Literaturverzeichnis
Anderberg, I., Kemps, E., & Prichard, I. (2025). The link between the use of diet and fitness monitoring apps, body image and disordered eating symptomology: A systematic review. Body Image, 52, 101836. https://doi.org/10.1016/j.bodyim.2024.101836
König, L. M., Attig, C., Franke, T., & Renner, B. (2021). Barriers to and facilitators for using nutrition apps: systematic review and conceptual framework. JMIR mHealth and uHealth, 9(6), e20037. https://doi.org/10.2196/20037
Villinger, K., Wahl, D. R., Boeing, H., Schupp, H. T., & Renner, B. (2019). The effectiveness of app‐based mobile interventions on nutrition behaviours and nutrition‐related health outcomes: A systematic review and meta‐analysis. Obesity Reviews, 20(10), 1465-1484. https://doi.org/10.1111/obr.12903
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