Ist Weihnachten wirklich ein Fest für alle?

Weihnachten ist für viele eine Zeit der Freude und Gemeinschaft. Doch wie erleben Menschen diese Zeit, die Weihnachten nicht feiern? Im letzten Teil der Weihnachtsserie werfen wir einen Blick auf die psychologischen Auswirkungen von Weihnachtsdekoration auf Nicht-Christ:innen und untersuchen, ob die Feiertage Vorurteile gegenüber Andersgläubigen verstärken können.

Im vorherigen Beitrag haben wir gesehen, dass christliche Religiosität und religiöse Traditionen einen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden während der Vorweihnachtszeit haben. Tatsächlich erleben Nicht-Christ:innen in dieser Zeit tendenziell ein reduziertes Wohlbefinden (Mutz, 2016). Aber was genau steckt dahinter?

Eine Studie von Schmitt et al. (2010) beleuchtet die psychologischen Auswirkungen der Weihnachtsdekoration auf Personen, die Weihnachten nicht feiern. Dazu füllten Mitglieder verschiedener Religionsgemeinschaften (Christentum, Buddhismus und Sikhismus) Fragebögen aus, während sie entweder an einem Tisch mit Weihnachtsdekoration oder an einem ohne Dekoration saßen.

Das Ergebnis: Mit Weihnachtsdekoration berichteten die Nicht-Christ:innen tendenziell mehr negative und weniger positive Gefühle und waren weniger selbstsicher. Möglicherweise fühlten sie sich in Gegenwart der Dekoration eher weniger „einbezogen“ als in deren Abwesenheit. Für Menschen aus Minderheitengruppen könnten also deutlich sichtbare kulturelle Symbole wie Weihnachtsdekoration das Gefühl der Inklusion beeinträchtigen und somit das allgemeine Wohlbefinden reduzieren. Allerdings ist zu beachten, dass die beobachteten Zusammenhänge eher klein waren.

Aber neigen diejenigen, die Weihnachten feiern, tatsächlich dazu, Nicht-Christ:innen weniger einzubeziehen? Dieser Frage nähert sich eine weitere Studie, die untersucht, ob Vorurteile gegenüber Muslim:innen in der Weihnachtszeit zunehmen (Dolinska et al., 2019, Study 1).

Die Forscher:innen verteilten am 22. Dezember in einer polnischen Stadt insgesamt 100 „verlorene Briefe“, die an unterschiedliche Personen adressiert waren: die eine Hälfte an einen polnischen Namen (Maciej Strzelczyk) und die andere Hälfte an einen typisch arabisch-muslimischen Namen (Mohammed Abdullach). Die Briefe wurden an öffentlichen Orten wie Bushaltestellen und Einkaufsläden abgelegt, sodass sie von zufällig vorbeikommenden Personen gefunden und zum Postkasten gebracht werden konnten. Die Frage war nun, welche Briefe häufiger in den Briefkasten geworfen werden.

Tatsächlich wurden Briefe an einen arabisch-muslimischen Adressaten mehr als dreimal seltener abgegeben als Briefe mit polnischem Adressaten (16 % vs. 52 %). Bei einem erneuten Versuch im Februar waren die Zahlen deutlich ausgeglichener (40 % für den polnischen Namen, 46 % für den arabischen Namen). In der Vorweihnachtszeit könnten Vorurteile gegenüber Muslim:innen also möglicherweise stärker ausgeprägt sein.

Woran könnte das liegen? Weihnachten betont Werte wie Zugehörigkeit und Gemeinschaft, oft im Kontext einer christlichen Identität. Dadurch könnte möglicherweise das Denken im Sinne von „Wir“ und „die Anderen“ verstärkt werden, was wiederum das Mitgefühl für Angehörige anderer Religionen verringern kann. Wer Weihnachten aus religiösen Gründen feiert, könnte sich tendenziell weniger mit denen identifizieren, die diese religiösen Inhalte nicht teilen, und diese als potenzielle Bedrohung für die eigene religiöse Identität wahrnehmen. Solche Denkmuster könnten in der Weihnachtszeit eher stärker ausgeprägt sein, im Gegensatz zu Zeiten, in denen religiöse Identitäten weniger im Vordergrund stehen.

Allerdings sind Feldexperimente, also Versuche, die in der echten Lebenswelt stattfinden, vielen unkontrollierbaren Einflüssen ausgesetzt. Deshalb sollte man die Befunde der polnischen Studie nur vorsichtig interpretieren. Darüber hinaus bleibt offen, inwiefern die Ergebnisse auf Deutschland übertragbar sind. In Polen sind Christ:innen eindeutig in der Mehrheit, während Muslim:innen dort eine kleine Minderheit darstellen. In Deutschland hingegen gibt es eine zunehmende religiöse Diversität, sodass die Auswirkungen auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von Weihnachten und die Inklusion von Nicht-Christ:innen weniger stark sein könnten.

Wenngleich Weihnachten also für viele Gläubige eine Zeit der Nächstenliebe und der Freude ist, so ist es auch ein christliches Fest, das nicht alle teilen. Diese Tatsache macht es nicht nur wahrscheinlicher, dass sich Angehörige anderer Religionsgemeinschaften in dieser Zeit eher ausgeschlossen fühlen könnten, sondern auch, dass Vorurteile gegenüber Andersgläubige möglicherweise zunehmen. Vielleicht lohnt es sich daher, in dieser Zeit besonders darüber nachzudenken, wie wir selbst die weihnachtlichen Werte von Nächstenliebe, Inklusion und Toleranz in unserem Umgang mit anderen leben können.

Literaturverzeichnis

Dolinska, B., Jarząbek, J., & Dolinski, D. (2020). I like you even less at Christmas dinner! Prejudice level as a function of an approaching national or religious holiday. Basic and Applied Social Psychology, 42(2), 88–97. https://doi.org/10.1080/01973533.2019.1695615

Mutz, M. (2016). Christmas and subjective well-being: A research note. Applied Research in Quality of Life, 11, 1341–1356. https://doi.org/10.1007/s11482-015-9441-8

Schmitt, M., T., Davies, K., Hung, M., & Wright, S. C. (2010). Identity moderates the effects of Christmas displays on mood, self-esteem, and inclusion. Journal of Experimental Social Psychology, 46(6), 1017–1022. https://doi.org/10.1016/j.jesp.2010.05.026

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