Weniger Polizei, ist mehr Polizei: Zum Umgang mit Ausschreitungen bei Fußballspielen
Wer kennt sie nicht, die Bilder von schweruniformierten Polizeiketten bei Fußballspielen. Verwunderlich sind sie nicht, bedenkt man, dass Hooliganismus und Ausschreitungen gerade bei internationalenSpielen fast vorprogrammiert erscheinen. Glaubt man Prof. Clifford Stott, so ist eine starke Polizeipräsenz trotzdem die falsche Strategie und eine friedliche WM auch ohne Uniformen möglich.
Neben der Vorfreude auf Fanmeilen und gemeinsames Feiern werden Fußballspiele auch von einer gewissen Angst begleitet. Nicht nur bei lokalen Derbys, wie jüngst bei den Spielen Hertha-Rostock oder Bielefeld-Dresden, kommt es nach Fußballspielen immer wieder zu Ausschreitungen inklusive Körperverletzungen und Todesfällen zwischen Fans und Fans oder Fans und Polizei. Gerade bei internationalen Begegnungen rüsten sich die Gastgeberländer oft bereits lange im Vorfeld, um den vermeintlich nur auf Krawall wartenden ‚Hooligans‘ etwas entgegenzusetzen. Wie jedoch kommt es, teilweise massiver Polizeipräsenz zum Trotz, dennoch immer wieder zu schweren Ausschreitungen und wie lassen sich diese verhindern?
Der Sozialpsychologe Dr. Clifford Stott bietet aus der eigenen Forschung (Reicher & Stott, 2011; Stott & Pearson, 2007) zu Ausschreitungen und Massenveranstaltungen und der Zusammenarbeit mit Polizeikräften in Großbritannien, Irland und Portugal eine zunächst verwunderliche Antwort: Weniger Polizeieinsatz führt zu weniger Ausschreitungen. Dies widerspricht dem, was man für gewöhnlich über „randalierende Mobs“ oder „besoffene Horden prügelwilliger Fans“ in der Berichterstattung liest. Genau dieses Bild von Großgruppen als Ansammlung emotional aufgeladener, leicht aufzuwiegelnder Masse ist aber laut Stott und Reicher (1998) gerade das Kernproblem. Wer, wie die meisten Polizeikräfte, für einen Krawall ausstaffiert auftritt und in den gegenüberstehenden Fans ein menschliches Pulverfass sieht, wird dessen Lunte überhaupt erst zünden.
Es ist das Paradebeispiel einer selbsterfüllenden Prophezeiung; durch das martialische Auftreten der Polizei wird auch an die Fans das Signal gesendet: „Es werden Ausschreitungen erwartet.“ Mehr noch, die übliche geschlossene Polizeikette und die einheitlichen Uniformen inklusive Helm und Gesichtsmaske machen aus der Polizei eine leicht identifizierbare „Out-Group“. Eine Out-Group, die obendrein verglichen mit den Fans als kräftiger, mächtiger kurz statushöher wahrgenommen wird. In der Praxis, so die Forschungsergebnisse (Stott & Reicher, 1998), schweißt dies oftmals die Fans überhaupt erst zu einer gemeinsamen Gruppe zusammen, in der sich party- und prügelwillige gleichermaßen über einen Kamm geschoren und in der unterlegenen Position sehen. Aus Sicht der Theorie der Sozialen Identität ist in solchen Situationen (klare Statusunterschiede, eine als unfair wahrgenommene Position und wenige Alternativen) ein Konflikt fast vorprogrammiert. Eine kleine Rangelei in den ersten Reihen, die sonst vielleicht von den Fans selbst beschwichtig würde, wird zum Angriff von „denen“ auf „uns“.
Die Lösung, die sich in der Praxis bereits mehrfach bewährt hat, ist es, genau dieser Kategorisierung „Wir Fans“ und „die Polizei“ durch niedrigschwellige Polizeipräsenz einen Riegel vorzuschieben. Treten Einsatzkräfte nicht in Kampfmontur, sondern in regulärer Uniform auf und nicht in geschlossener Kette, sondern vereinzelt, bieten sich bereits weniger Grundlagen für Ausschreitungen. Mitunter sind es sogar Fans selbst, die dann die „Hitzköpfe“ in den eigenen Reihen beruhigen. Wenn Polizist/innen dann zusätzlich vermittelnd eingreifen, beispielsweise Gerüchte zerstreuen oder sich an den Bedürfnissen der entsprechenden Fans orientieren, steht einer WM ohne Ausschreitungen nichts im Wege.
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