Arbeitslosigkeit und chronischer Stress: Was können wir aus Haarproben lernen?
Arbeitslosigkeit wirkt sich in vielerlei Hinsicht negativ auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit aus. Aber hat sie auch einen Einfluss auf unser Stresssystem? Mit der Hilfe von Haarproben wurde dieser Frage nun im Rahmen einer großen Langzeitstudie nachgegangen.
Auslaufende Verträge, Betriebsschließungen und Kündigungen: Wir alle werden uns in unserem Leben wahrscheinlich einmal mit dem Thema Arbeitslosigkeit beschäftigen müssen. Zahlreiche Studien haben sich mit den Auswirkungen der Arbeitslosigkeit beschäftigt. Generell zeigte sich, dass Arbeitslosigkeit negative Effekte auf unsere Lebenszufriedenheit und unsere Gesundheit hat (McKee-Ryan et al., 2005). Weniger klar ist hingegen, wie sich Arbeitslosigkeit auf unser Stresssystem auswirkt. Auf der einen Seite geht Arbeitslosigkeit mit vielen Stressoren wie der Jobsuche, Bewerbungsphasen sowie finanziellen Einschränkungen einher. Auf der anderen Seite ist auch das Arbeitsleben meist äußerst herausfordernd und belastend. Verändert sich also der chronische Stress, wenn man arbeitslos wird?
Dieser Frage sind Lawes und Kolleg*innen in einer bio-psychologischen Studie nachgegangen. Für ihre Studie haben sie beschäftigte Personen angeschrieben, die sich bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet haben, da sie erwarteten, bald ihren Job zu verlieren. Interessierte Personen wurden dann im Rahmen des German Job Search Panels (Hetschko et al., 2022) mit einer Smartphone-App monatlich über bis zu zwei Jahre zu ihrer Beschäftigungssituation, ihrem Wohlbefinden und ihrer Gesundheit befragt. Wichtig ist, dass nur ein Teil der teilnehmenden Personen tatsächlich arbeitslos wurde, viele konnten nämlich entweder doch ihren Job behalten oder fanden direkt eine neue Tätigkeit ohne arbeitslos zu werden.
Haarcortisol als Biomarker für chronischen Stress
Neben den Befragungsdaten haben einige Personen alle drei Monate Haarproben eingesendet, anhand derer der Cortisolgehalt im Haar bestimmt wurde. Cortisol ist ein Hormon, das es dem Körper ermöglicht, die gesteigerten Anforderungen, die durch Stressoren verursacht werden, erfolgreich zu bewältigen. Die akute und zeitlich begrenze Ausschüttung von Cortisol ist daher ein adaptiver Mechanismus des Organismus, eine anhaltende Cortisolausschüttung ist hingegen maladaptiv und mit zahlreichen negativen gesundheitlichen Folgen wie Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems und Diabetes verbunden. In den letzten Jahren hat sich die Analyse von Haarcortisol als verlässlicher Biomarker für eine anhaltende Cortisolausschüttung in Folge von chronischer Belastung etabliert (Kirschbaum et al., 2009).
Ergebnisse
Die Ergebnisse von Lawes et al. (2022) zeigten, dass die mittlere Haarcortisolkonzentration am höchsten war als sich die Studienteilnehmenden arbeitssuchend gemeldet haben und dann in den folgenden 12 Monaten abfiel. Besonders viel Cortisol wurde also ausgeschüttet, als die beruflichen Aussichten vieler besonders ungewiss waren. Um zu untersuchen, wie sich nun Arbeitslosigkeit auf das Haarcortisol auswirkt, wurden weitere Analysen auf Basis der ersten drei Haarcortisolmessungen von 526 Personen durchgeführt. Hierbei zeigte sich, dass Personen, die arbeitslos wurden, sich in ihren mittleren Veränderungen im Haarcortisol nicht von Personen unterschieden, die dauerhaft beschäftigt waren. Die Länge der Arbeitslosigkeit und die Wiederbeschäftigungserwartungen waren jedoch wichtige Rahmenbedingungen: So stieg des Haarcortisol von Personen, die bereits seit vier bis sechs Monaten arbeitslos waren und geringere Erwartungen auf einen neuen Job hatten stärker an als bei Personen, die gleich lang arbeitslos waren aber hohe Wiederbeschäftigungserwartungen berichteten. Bei kürzerer Arbeitslosigkeit zeigte sich dieser Effekt hingegen nicht.
Fazit
Die Studie zeigt, dass sich Arbeitslosigkeit nicht per se auf unser physiologisches Stresssystem auszuwirken scheint. Vielmehr scheint es die berufliche Unsicherheit zu sein, die mit erhöhtem chronischem Stress zusammenhängt. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit zahlreichen Laborstudien, die aufzeigten, dass das physiologische Stresssystem besonders auf unkontrollierbare Situationen und neuartige Herausforderungen reagiert (Dickerson & Kemeny, 2004). Personen mit geringen Beschäftigungschancen scheinen somit eine Risikogruppe für chronischen Stress und den einhergehenden gesundheitlichen Folgen zu sein. Arbeitsvermittler und politische Entscheidungsträger sollten dieser Gruppe daher besondere Aufmerksamkeit schenken und gezielte Maßnahmen zur Förderung ihrer Gesundheit entwickeln.
Literaturverzeichnis
Dickerson, S. S., & Kemeny, M. E. (2004). Acute stressors and cortisol responses: A theoretical integration and synthesis of laboratory research. Psychological Bulletin, 130(3), 355–391. https://doi.org/10.1037/0033-2909.130.3.355
Hetschko, C., Schmidtke, J., Eid, M., Lawes, M., Schöb, R., & Stephan, G. (2022). The German Job Search Panel. OSF Preprint. https://doi.org/10.31219/osf.io/7jazr
Kirschbaum, C., Tietze, A., Skoluda, N., & Dettenborn, L. (2009). Hair as a retrospective calendar of cortisol production-Increased cortisol incorporation into hair in the third trimester of pregnancy. Psychoneuroendocrinology, 34(1), 32–37. https://doi.org/10.1016/j.psyneuen.2008.08.024
Lawes, M., Hetschko, C., Schöb, R., Stephan, G., & Eid, M. (2022). Unemployment and hair cortisol as a biomarker of chronic stress. Scientific Reports, 12(21573). https://doi.org/10.1038/s41598-022-25775-1
McKee-Ryan, F., Song, Z., Wanberg, C. R., & Kinicki, A. J. (2005). Psychological and physical well-being during unemployment: A meta-analytic study. Journal of Applied Psychology, 90(1), 53–76. https://doi.org/10.1037/0021-9010.90.1.53
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