Corona-Krise: Hamsterkäufe, Hygieneregeln, Eigengruppenbezogenheit und Vernachlässigung Fremder, Verschwörungstheorien, aber auch Fensterkonzerte, Hilfskredite und Notfonds – was macht diese Krise mit uns?

In Zeiten von Corona zeigt sich die Menschheit mit Verhaltensweisen, die in dieser Bandbreite, Häufigkeit und Intensität manchmal allen zu viel werden. Psychologische Forschung kann erklären, warum die Menschen, ja gefühlt die ganze Welt gerade Kopf zu stehen scheint (Teil 1) und warum ein Praktizieren von Empathie, Dankbarkeit und Demut hilfreich sein kann, diese Krisenzeit zu akzeptieren, wie sie ist (Teil 2).

Wir alle erfahren es gerade tagtäglich: Menschen tätigen Hamsterkäufe, wir halten Abstand voneinander und tragen bereitwillig unbequeme Schutzmasken. Spannend wird es auch, wenn wir über den persönlichen Tellerrand hinwegschauen. So ließ es Deutschland zu, dass sich die EuropäerInnen vertagten – während der schlimmsten Wochen für Italien und Spanien. Gleichzeitig erleben wir recht abstrakte psychologische Phänomene: So meinen manche, dieses Virus sei uns von einer höheren Macht gesendet worden, um uns alle zu besseren Menschen zu machen. Auch werden wir in diesen Krisenzeiten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen unglaublicher Solidarität und Menschlichkeit. Die italienische Bevölkerung macht es vor und veranstaltet Fensterkonzerte zur Aufmunterung der Nachbarschaft. Aber auch Regierungen vergeben Hilfskredite. Zugleich gibt es vielerlei Einrichtungen von Notfonds, um den Schwächsten der Schwachen auch wirtschaftlich durch Misslichkeiten zu helfen. Ist das alles chaotischer Wahnsinn oder können wir diese Bandbreite an menschlichen Verhaltensweisen auch wissenschaftlich erklären und Hinweise ableiten, die uns durch diese Zeiten helfen? Die gute Nachricht ist: Ja, wir können es!

Teil 2:

1. Vom Mitleiden zum Mitfühlen: Wie aus Stress Liebe werden kann

Singer und Klimecki (2014) arbeiteten zu Empathie und Hilfeverhalten mit neuropsychologischen Methoden und kamen zu dem Schluss, dass Menschen dazu neigen, zwei Arten von empathischen Reaktionen zu zeigen, sobald sie das Leiden anderer - z.B. einen entsprechend schweren Covid-19 Fall oder jemanden, der stark unter der aktuellen Einschränkung der Sozialkontakte leidet – erleben.

1) Die empathische Reaktion, mit der Person in Not mitzuleiden: Dabei können Menschen so sehr mitleiden, dass sie selbst in Stress verfallen und die Person und Notsituation eigentlich nicht mehr in ihrer Nähe ertragen können. Diese Umstände haben wir beispielsweise erlebt, als uns italienische Medienberichte über leidendes medizinisches Personal informiert haben. Die beschriebenen Ersthelfenden mussten Entscheidungen über Leben und Tod treffen und waren im Dauerdienst. Es war ihnen kaum möglich, Abstand zur Situation zu gewinnen, weshalb sie selbst in psychischen Stress verfallen sind. 

2) Die empathische Reaktion, mit der Person in Not mitzufühlen: Hierbei nimmt der Mitfühlende emotional minimalen Abstand vom Notleidenden und bemüht sich, liebevoll auf die andere Person zu schauen. Mit dieser Bewältigungsstrategie schaffen es Menschen, tatsächlich auf andere zuzugehen und ihnen in ihrer Notlage zu helfen, ohne dabei eigene Erschöpfungssymptome zu erleben. Um sich besser vorzustellen, was mit dieser Art von empathischer Reaktion gemeint ist, kann man diesen psychologischen Prozess auch mit der liebevollen Fürsorge, Nachsicht und Akzeptanz von Kleinkind- oder Ältestenbedürfnissen vergleichen. Man muss sich auf diese Personen intensiv einlassen, um ihnen wirklich gerecht zu werden. Dabei fühlt sich die helfende Person meist sehr wohl, da sie bemerkt, dass ihr Einfühlungsvermögen förderlich für die psychische Genesung der anderen Person ist. 

In der aktuellen Corona-Krise sollten wir davon ausgehen, dass zur Zeit jeder Mensch Kleinkind- oder Ältestenbedürfnisse hat und daher besonders viel Fürsorge, Nachsicht und Zuspruch braucht. Das mag dramatisch klingen, dürfte jedoch als Bild im Umgang mit anderen und somit als Schritt in Richtung Akzeptanz der vorliegenden Krisensituation sehr hilfreich sein.

2. Täglich gelebte Dankbarkeit und Demut halten unseren natürlichen Egoismus im Zaum! 

Ein weiterer Schritt in Richtung Akzeptanz der aktuellen Coronakrisensituation bezieht sich auf jede einzelne Person und darauf, was diese für sich tun kann. Dazu haben Kruse und KollegInnen (2014) eine Theorie entwickelt. Diese geht davon aus, dass sich bei Menschen, die täglich mehrfach Dankbarkeit für andere durchdenken oder ausdrücken, der natürliche egozentrische Selbstfokus reduziert und somit Demut erfahrbar ist. Dankbarkeit könnte sich beispielsweise durch liebevolle Worte und Handlungen anderen gegenüber ausüben lassen. Das dadurch erhoffte ausgelöste Gefühl der Demut beschreibt eine moralische Emotion. Hierbei geht es darum, zu begreifen und zu fühlen, dass wir als einzelner Mensch nur ein kleines Licht sind, mit entsprechend beschränkten Fähigkeiten, die jahrtausendalte Welt zu bewegen und zu beherrschen. Dabei ist Demut großen schicksalhaften Ereignissen vorbehalten. So fühlen wir uns beispielsweise demütig, wenn ein gesundes Kind auf die Welt kommt oder wenn wir lernen, dass ein geliebter Mensch nicht mehr auf dieser Welt ist. Nach Kruse und KollegInnen führt empfundene Demut wiederum dazu, dass verstärkte Dankbarkeit für das Dasein und die Existenz anderen Lebens empfunden und ausgedrückt wird. Somit schließt sich also der Kreis und jeder einzelne Mensch kann mit diesem psychologischen Prinzip lernen, auch in den schwersten Stunden die Welt zu akzeptieren, wie sie sich einem gerade präsentiert. 

Aktuelle Studie zur Klärung offener Fragen

Auch wir führen an der Friedrich-Schiller-Universität Jena aktuell eine groß angelegte Online-Studie zur aktuellen Corona-Krise durch. Haben Sie Lust, die Studie zu unterstützen? Link: https://www.sozpsy.uni-jena.de/forschung

 

Quellen:

Kruse, E., Chancellor, J., Ruberton, P., & Lyubomirsky, S. (2014). An upward spiral between gratitude and humility. Social Psychological and Personality Science, 5, 805–814.

Singer, T., Klimecki, O.M., 2014. Empathy and compassion. Current. Biology. 24, R875–R878.

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