Die Erinnerung an ein Verbrechen, das man nie begangen hat
Immer wieder gestehen Verdächtige ein Verbrechen, das sie eigentlich nicht begangen haben. Eine Studie zeigt nun, wie einfach es ist, Menschen falsche Erinnerungen ins Gedächtnis zu pflanzen. Solche Pseudoerinnerungen führen im Extremfall sogar dazu, dass Menschen für eine Straftat ins Gefängnis kommen, mit der sie nichts zu tun haben. Aber warum können wir unserem eigenen Gedächtnis nicht trauen?
Wir gehen davon aus, dass unser Gedächtnis recht gut darin ist, Erinnerungen abzuspeichern und wiederzugeben – vor allem dann, wenn es um Erlebnisse geht, die uns wichtig sind. Laut der deutsch-kanadischen Forscherin Julia Shaw sind Erinnerungen jedoch nicht stabil, sondern verändern sich mit jedem Mal, mit dem wir sie erzählen. So werden beispielsweise Informationen hinzugefügt, die man von anderen Personen aufschnappt hat, oder es werden fälschlicherweise Verbindungen zu anderen Erlebnissen hergestellt. Um Personen falsche Erinnerungen ins Gedächtnis einzupflanzen, genügt es laut Shaw, sie dazu zu bringen, ein sich vorgestelltes Ereignis im Gedächtnis abzuspeichern. Je häufiger und detailreicher sich die Person das Ereignis vorstellt, desto eher wird es zu einer Erinnerung.
In ihrer Studie nutzten Shaw und Kollege Porter (2015) genau diese Methode, um ihre Versuchspersonen glauben zu machen, sie hätten ein Verbrechen begangen. Bevor die Personen ins Labor eingeladen wurden, kontaktierten die Forschenden die Eltern der Studienteilnehmenden. Sie sollten detailreiche Angaben zum Leben ihres/-r Sohnes/Tochter (Testperson) geben, wie etwa in welcher Stadt er/sie aufgewachsen war oder welche Personen damals eine wichtige Rolle spielten. Den Studienteilnehmenden wurde erzählt, es handle sich um eine Gedächtnisstudie und es gehe darum, verborgene Erinnerungen ans Licht zu bringen.
Während des ersten Interviews konfrontierten die Forschenden die Versuchspersonen mit einem Verbrechen, das diese angeblich begangen haben sollten. Beispielsweise machten die Forschenden den Testpersonen weis, ihre Eltern hätten erzählt, dass sie als Jugendliche einen Diebstahl begangen oder jemanden körperlich angegriffen hätten. Die Forschenden fügten dann weitere Informationen hinzu, etwa das Alter der Testperson zum Zeitpunkt des Ereignisses oder den Namen des besten Freundes aus der Kindheit. Die Teilnehmenden wurden während des Interviews immer wieder aufgefordert, sich an dieses (falsche) Ereignis zu erinnern und weitere Details anzugeben. Dabei wendeten die Forschenden verschiedene Taktiken an, welche die Erzeugung falscher Erinnerungen begünstigen. Wenn eine Versuchsperson beispielsweise äußerte, dass sie sich nicht an den Vorfall erinnern könne, antwortete der Interviewer: „Das ist okay. Viele Menschen können sich zuerst nicht an solche Ereignisse erinnern, weil sie sehr lange nicht darüber nachgedacht haben. Wenn sie sich Mühe geben, fallen den meisten Personen jedoch wieder Details ein“. Jeweils im Abstand von einer Woche wurden die Personen ein zweites und drittes Mal ins Labor eingeladen und gebeten, über ihre angebliche Straftat zu berichten. Am Ende des dritten Interviews wurden die Personen umfassend darüber aufgeklärt, dass es sich um ein fiktives, frei erfundenes Ereignis handelte, und gefragt, ob sie tatsächlich selbst geglaubt hatten, dass dieses Ereignis stattgefunden hätte.
70% der Versuchspersonen waren überzeugt davon, dass sie das Verbrechen tatsächlich begangen hätten. Besonders beeindruckend: Fiktive und reale Erlebnisse konnten gleichermaßen detailreich erinnert werden. Zum Vergleich sollten sich die Studienteilnehmenden während der Interviews nicht nur an ein fiktives Ereignis, sondern auch an ein reales Ereignis erinnern. Obwohl man erwarten würde, dass sich die Erzählung des wahren Ereignisses von der des fiktiven unterscheidet, enthielten beide Beschreibungen in gleichem Maße emotionale und komplexe Informationen.
Mittlerweile wurden die Ergebnisse dieser Studie in Frage gestellt. Kimberly Wade und ihr Forscherinnenteam (2018) analysierten die Interviews erneut und kamen zu dem Ergebnis, dass man bei weitaus weniger Versuchspersonen, ungefähr 30%, tatsächlich von falschen Erinnerungen an das Verbrechen sprechen könne. Im Vergleich zu Shaw unterscheiden die Forscherinnen zwischen falschen Annahmen und falschen Erinnerungen. Personen mit falschen Annahmen akzeptieren oder spekulieren darüber, dass das (falsche) Ereignis stattgefunden hat. Von falschen Erinnerungen könne man jedoch laut Wade erst sprechen, wenn die Person tatsächlich angibt, sich an das Ereignis erinnern zu können. Auch wenn Erinnerungsverzerrungen womöglich seltener eintreten als zunächst von Shaw angenommen können sie dennoch weitreichende Konsequenzen haben. Wenn Verdächtige derartige Pseudoerinnerungen haben, kann es zu falschen Geständnissen kommen. Problematische Verhörmethoden wie beispielsweise die Verwendung von Suggestivfragen können dieses Phänomen verstärken.
Um festzustellen, ob eine Erinnerung wahr oder falsch ist, kommt es laut Shaw vor allem darauf an, herauszufinden, wie es zu einer bestimmten Aussage kam. Welche Verhörmethoden wurden angewendet, welche Details wurden dem Verdächtigen mitgeteilt, wie penetrant wurde nach einer bestimmten Information gefragt? Außerdem sollten zusätzlich Sachbeweise wie DNA-Spuren herangezogen werden, die weniger Interpretationsspielraum haben.
Falls Sie also jemals ihre Unschuld beweisen müssen, achten Sie genau auf die Befragungstaktik und lassen Sie sich nicht von Details täuschen, an die Sie sich nicht von Anfang an erinnert haben.
Quellen:
Shaw, J., & Porter, S. (2015). Constructing rich false memories of committing crime. Psychological Science, 26(3), 291-301.
Wade, K. A., Garry, M., & Pezdek, K. (2018). Deconstructing rich false memories of committing crime: Commentary on Shaw and Porter (2015). Psychological Science, 29(3), 471-476.
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