Ich mach‘ mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt – was Kinderarbeit mit unserem Gedächtnis zu tun hat
„Ich hätte gerne eine Hose, die mittels Kinderarbeit hergestellt wurde“ – dieser Satz würde Ihnen im Traum nicht einfallen? Damit sind Sie nicht allein. Dass viele Menschen allerdings ethisch bedenkliche Herstellungsbedingungen beim Konsum nicht nur gerne mal verdrängen, sondern sogar systematisch vergessen, bestätigte nun ein amerikanisches Forschungsteam.
Viele kennen es: Man hatte einen besonders unangenehmen Tag, will sich zu Hause am liebsten die Decke über den Kopf ziehen und nicht mehr daran denken müssen. Manchmal kann Vergessen ein Segen sein und uns das Leben leichter machen. Dass dies im alltäglichen Konsum häufiger auftritt als gedacht und nicht unbedingt ein Segen ist – zumindest nicht für unsere Umwelt –, fanden nun amerikanische WissenschaftlerInnen heraus. Sie baten Versuchsteilnehmende, sich Details zu verschiedenen Produkten wie beispielsweise Jeanshosen zu merken und später möglichst vollständig aufzuzählen. Die Produkte unterschieden sich dabei nicht nur in Größe, Schnitt oder Preis, sondern auch in ihrer ethischen Bedenklichkeit. Eine der Jeans wurde zum Beispiel als „durch Kinderarbeit hergestellt“ beschrieben. Das Ergebnis: War das Produkt ethisch fragwürdig produziert worden, wurde dieses Detail von den Versuchsteilnehmenden beim späteren Beschreiben gerne mal vergessen oder falsch erinnert. War das Produkt hingegen ethisch unbedenklich hergestellt worden, trat dieser Vergessenseffekt deutlich weniger auf. Aber wie kommt diese, nennen wir sie „vorübergehende geistige Umnachtung“, zustande? Die ForscherInnen nennen das Phänomen „willfully ignorant memory“ – vorsätzlich ignorantes Gedächtnis. Werden wir beim Betrachten einer Produktbeschreibung mit einem ethisch bedenklichen Merkmal konfrontiert, entsteht ein Konflikt zwischen zwei Seiten unseres Selbst: dem auf positive Gefühle und Vergnügen ausgerichteten „Ich-will“-Selbst und dem langfristiger und moralischer denkenden „Ich-sollte“-Selbst. Dieser Konflikt ruft negative Gefühle hervor, die wir umgehen wollen. So lassen wir beim Abruf der Informationen meistens das „Ich-will“-Selbst gewinnen, welches die unangenehmen Fakten einfach durch Vergessen unter den Tisch fallen lässt. Sprich: Wir wollen uns nicht erinnern, also tun wir es auch nicht.
Und die Moral von der Geschicht‘? Vielleicht die, dass jede(r) von uns nicht nur beim Einkaufen bewusster darauf achten sollte, unangenehme Tatsachen nicht zugunsten des eigenen Wohlergehens auszublenden - auch wenn es unser Leben etwas unbequemer macht.
Quellen:
Walker Reczek, R., Irwin, J. R., Zane, D.M., & Ehrich, K.R. (2018). That’s not how I remember it: Willfully ignorant memory for ethical product attribute information. Journal of Consumer Research, 45, 185-207.
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