Inkonsistenter Zeuge = Unglaubwürdiger Zeuge? Wenn Zeug/innen ihre Aussage später ergänzen

Ein Mann wird Zeuge eines Banküberfalls. Noch in der Bank gibt er der Polizei eine Täterbeschreibung: Männlich, dunkle Haare, schlank, schwarzer Pullover. An mehr kann er sich nicht erinnern. Eine Woche später wird der Zeuge zur Vernehmung eingeladen und gibt an, dass der Täter eine Jeans trug. Sollte die Polizei dieser neuen Information Glauben schenken? 

Mit der Zeit vergessen wir. Das wissen wir aus eigener Erfahrung nur zu gut. Der umgekehrte Fall, nämlich die Erinnerung scheinbar zunächst „vergessener“ Informationen zu einem späteren Zeitpunkt, ist dagegen weniger geläufig. Da scheint es plausibler, dass der Zeuge die Information zur Jeans in den Medien aufgeschnappt oder mit anderen Zeug/innen über den Banküberfall gesprochen hat. In jedem Fall erscheint Skepsis angebracht.

Doch so einfach ist es nicht. Reminiszenz, die Erinnerung von Details, die zuvor nicht erinnert wurden, ist „normal“ und tritt bei nahezu jeder/m auf. Reminiszenz entsteht, weil nicht alle Informationen zu jeder Zeit gleichermaßen im Gedächtnis zugänglich sind. Je unterschiedlicher zwei Abrufversuche, also Vernehmungen im Fall von Augenzeug/innen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Reminiszenz auftritt, weil unterschiedliche Teile der Erinnerung aktiviert werden. Solche Unterschiede können beispielsweise entstehen, wenn unterschiedliche Fragen gestellt werden.

Doch nicht nur Laien, nein, selbst erfahrene Polizeibeamte/innen wissen dies nicht. In einer gerade veröffentlichten Studie wurden Polizeibeamte/innen gebeten, die Erinnerungsleistung von Versuchspersonen einzuschätzen, die im Abstand von einer Woche zwei Aussagen zu einem nachgestellten Diebstahl abgaben. Sie schätzten, dass nur 29 % der reminiszenten Details richtig wären. Zudem gaben sie mehrheitlich an, dass es sich bei diesen neuen Details vermutlich um Falschinformationen (z. B. aus Medienberichten) handle. Die Abweichung zwischen dieser Einschätzung der Beamt/innen und den tatsächlichen Ergebnissen war eklatant: In Wirklichkeit waren reminiszente Details in 86 % der Fälle korrekt. Dieses Misstrauen gegenüber reminiszenten Details ist problematisch. Es kann dazu führen, dass die Polizei wichtige Hinweise unberücksichtigt lässt, was schließlich negative Folgen für die Aufklärung eines Falles haben kann.

Was also tun mit reminiszenten Details? Die Polizei sollte im Gespräch mit Zeug/innen prüfen, ob es Hinweise auf Beeinflussung durch Medien oder andere Zeug/innen gibt. Falls keine solchen Hinweise vorliegen, stehen die Chancen gut, dass das neue Detail richtig ist. 

Quellen:

Krix, A. C., Sauerland, M., Lorei, C., & Rispens, I. (2015). Consistency across repeated eyewitness interviews: Contrasting police detectives’ beliefs with actual eyewitness performance. PLoS ONE, 10, e0118641. doi:10.1371/journal.pone.0118641

Oeberst, A. (2012). If anything else comes to mind . . . better keep it to yourself? Delayed recall is discrediting: Unjustifiably. Law and Human Behavior, 36, 266-274. doi:10.1037/h0093966