Irren ist menschlich: Warum wir beim nachhaltigen Konsum versagen
Was ist eigentlich umweltfreundlicher: eine Coca-Cola oder eine Pepsi? Und was erzeugt weniger CO2-Emissionen: eine Levi’s Jeans oder ein Paar Nike Schuhe? Weißt du auch nicht so genau? Damit bist du nicht allein.
Immer mehr Menschen möchten sich umwelt- und klimafreundlich verhalten. Die Betonung liegt dabei auf „möchten“, denn Forschungsarbeiten zeigen, dass umweltfreundliche Absichten kaum mit niedrigeren CO2-Emissionen einhergehen. Zum Beispiel verursachen Personen, die auf nachhaltige Kleidung achten wollen, letztendlich genauso viel umweltschädliches CO2 durch ihr Kaufverhalten wie andere Personen (Nielsen et al., 2022). Aber warum ist das so? Eine mögliche Antwort ist, dass wir nicht besonders gut einschätzen können, was eigentlich wie viel CO2 erzeugt und wo wir viel CO2 einsparen können. Immerhin ist CO2-Ausstoß nicht direkt greif- oder sichtbar und selbst für Fachleute kompliziert zu ermitteln.
Wie gut können wir Emissionen schätzen?
In einer Studie (Johnson et al., 2024) gaben über 2000 Personen ihre Einschätzungen zu den CO2-Emissionen verschiedener Verhaltensweisen, Firmen und Branchen ab. Sie sortierten die Verhaltensweisen (z. B. „den Stromverbrauch um 75% reduzieren“) danach, wie viel CO2 sie einsparen (hier gibt es ein Beispiel auf Englisch). Die Firmen (wie die Coca-Cola Company) und Branchen (z. B. die Modebranche) sortierten die Teilnehmenden danach, wie viel CO2 sie ausstoßen. Diese Ranglisten verglichen die Forschenden dann mit den tatsächlichen CO2-Emissionen. Und siehe da: es gab bestenfalls eine geringe Übereinstimmung – die Teilnehmenden wussten also nicht gut darüber Bescheid, welche Verhaltensweisen, Firmen oder Branchen mehr oder weniger CO2 verursachen.
Warum verschätzen wir uns?
Als nächstes wollte das Forschungsteam wissen, wie die Teilnehmenden zu ihren Einschätzungen kommen. Die wenigsten Personen haben ja den exakten CO2-Ausstoß von verschiedenen Produkten oder Firmen parat – stattdessen nutzen sie vielleicht Faustregeln wie zum Beispiel „je bekannter die Firma, desto größer der CO2-Ausstoß“. Tatsächlich schätzen die Teilnehmenden bekanntere Firmen und bekanntere oder unbeliebte Branchen als CO2-intensiver ein. Diese Faustregeln waren auch tatsächlich nützlich, weil genau diese Firmen und Branchen wirklich mehr CO2 ausstoßen. Anders sah es bei den Verhaltensweisen aus. Die Teilnehmenden gingen davon aus, dass Maßnahmen, die oft empfohlen oder im eigenen Umfeld selten umgesetzt werden, besonders viel CO2 einsparen. In Wirklichkeit waren es aber eher die selten empfohlenen und oft im Umfeld ausgeführten Verhaltensweisen, mit denen man besser CO2 einsparen konnte. Zum Beispiel wurde den Teilnehmenden „Abfall um 25% reduzieren“ öfter empfohlen als „kein Auto fahren“; dabei spart „kein Auto fahren“ deutlich mehr CO2 ein. Diese Faustregel führte die Teilnehmenden also in die Irre.
Als letztes schauten sich die Forschenden an, ob bestimmte Personen CO2-Emissionen besser einschätzen können als andere – zum Beispiel Fachleute, die sich beruflich mit dem Klimawandel beschäftigen; Personen mit eher linker politischer Orientierung; Personen, die sich besonders um den Klimawandel sorgen; und so weiter. Den einzigen relevanten Unterschied fanden sie bei Fachleuten, die tatsächlich den CO2-Ausstoß korrekter einschätzen konnten. Alle anderen Gruppen zeigten eine vergleichbare Ungenauigkeit. Das deutet darauf hin, dass Motivation und Interesse allein nicht ausreichen – spezifisches Fachwissen ist nötig!
Und jetzt?
Das bedeutet: Wir treffen vermutlich oft umweltschädliche Entscheidungen, einfach weil wir gar nicht genau wissen, was mehr oder weniger umweltfreundlich ist. CO2-Emissionen sind komplex, darum nutzen wir Faustregeln, die es uns leichter machen – wie die Annahme, dass oft empfohlene Verhaltensweisen mehr CO2 einsparen. Wenn solche Faustregeln aber falsch sind, führen sie uns in die Irre. Darum brauchen wir mehr zugängliche Informationen zu CO2-Emissionen, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Das ist zum einen ein Auftrag an Organisationen, die über Klimaschutz informieren und scheinbar teilweise den Fokus auf weniger effektive Verhaltensweisen legen. Zum anderen ist es auch ein Appell an uns selbst: Wir sollten regelmäßig hinterfragen, woran wir eigentlich festmachen, was wir für umweltfreundlich halten – und ob das wirklich stimmt. Ganz nach dem Motto: „Irren ist menschlich, aber im Irrtum zu verharren ist teuflisch“. Übrigens: Zu den Verhaltensweisen mit dem größten CO2-Einsparpotential gehören: kein Auto fahren, Energie sparen oder grüne Energie nutzen und weniger Fliegen (Johnson et al., 2024; Wynes & Nicholas, 2017). Die genauen Zahlen hängen aber zum Beispiel vom bisherigen Verhalten ab – es bleibt eben kompliziert.
Literaturverzeichnis
Johnson, E. J., Sugerman, E. R., Morwitz, V. G., Johar, G. V., & Morris, M. W. (2024). Widespread misestimates of greenhouse gas emissions suggest low carbon competence. Nature Climate Change, 14(7), 707–714. https://doi.org/10.1038/s41558-024-02032-z
Nielsen, K. S., Brick, C., Hofmann, W., Joanes, T., Lange, F., & Gwozdz, W. (2022). The motivation–impact gap in pro-environmental clothing consumption. Nature Sustainability. https://doi.org/10.1038/s41893-022-00888-7
Wynes, S., & Nicholas, K. A. (2017). The climate mitigation gap: Education and government recommendations miss the most effective individual actions. Environmental Research Letters, 12(7). https://doi.org/10.1088/1748-9326/aa7541
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