Negativity Bias – nicht alles ist Evolution!

Negativitätsverzerrung (engl. Negativity Bias) beschreibt das Phänomen, dass negative Informationen stärker gewichtet werden als positive. Der Verlust von 10€ wird beispielsweise stärker negativ erlebt als der Gewinn von 10€ positiv erlebt wird, und bedrohliche Gesichter werden schneller erkannt als weniger bedrohliche. Doch bei der Evaluativen Konditionierung tritt dieser Effekt überraschenderweise nicht auf – obwohl alle Bedingungen dafür erfüllt sind. Warum das so ist, erklären wir in diesem Beitrag.

Negativitätsverzerrung (engl. Negativity Bias) bedeutet, dass negative Information schwerer wiegt als positive. Das zeigt sich in vielen Bereichen: Wir ärgern uns mehr über Verluste als wir uns über Gewinne freuen, erinnern uns besser an negative als an positive Ereignisse und erkennen in einer Gruppe von Gesichtern bedrohliche schneller als lächelnde (vgl. Baumeister et al., 2001).

Aus evolutionspsychologischer Sicht ist das durchaus sinnvoll. Denn es geht ums Überleben: Wer den Säbelzahntiger im Gebüsch übersah, gab seine Gene nicht weiter. Wer ein paar essbare Beeren verpasste, fand später vermutlich neue.

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Aus evolutionspsychologischer Perspektive würden wir deshalb erwarten, dass ein Negativity Bias immer dann auftritt, wenn sowohl positive als auch negative Informationen vorhanden sind. So wie bei der Evaluativen Konditionierung.

Bei der Evaluativen Konditionierung werden neutrale Bilder (z. B. geometrische Formen) zusammen mit positiven (z. B. Hundewelpen) oder negativen Bildern (z. B. Spinnen) gezeigt. Durch die gemeinsame Präsentation verändert sich die Bewertung der ursprünglich neutralen Bilder (De Houwer, 2007): Wird beispielsweise ein Dreieck mit einem Katzenbaby kombiniert, erscheint das Dreieck später positiver; ein Viereck, das mit einer Schlange gezeigt wurde, wird nach dieser gemeinsamen Präsentation dagegen negativer bewertet.

Die Daten aus verschiedenen Studien zu Evaluativer Konditionierung zeigen aber: Obwohl positive und negative Information vorhanden ist, tritt  bei der Evaluativen Konditionierung kein Negativity Bias auf (Sperlich & Unkelbach, 2024). Das bedeutet, die geometrischen Formen, die mit negativen Bildern gezeigt wurden, sind nicht extremer bewertet worden als die geometrischen Formen, die mit positiven Bildern gezeigt wurden. Mit anderen Worten: negative Information wurde nicht stärker negativ bewertet als positive Information positiv bewertet wurde. Woran liegt das?

Eine Erklärung könnte sein, dass in vielen Experimenten gleich viel positive und negative Information gezeigt wird. Wenn zum Beispiel vier Bilder geometrischer Formen mit vier positiven Tierbildern gezeigt werden, werden typischerweise auch vier Bilder geometrischer Formen mit vier negativen Tierbildern gezeigt. Das entspricht jedoch nicht der realen Umwelt – dort sind negative Informationen normalerweise seltener als positive Informationen. Das zeigt sich zum Beispiel in unserem Alltag: Typischerweise haben wir seltener negative als positive soziale Interaktionen. Und auch Analysen unserer Sprache als Spiegel der Realität zeigen: Negative Wörter werden seltener verwendet als positive (z. B. Unkelbach et al., 2019). Und seltene Informationen haben Vorteile: sie bleiben zum Beispiel besser im Gedächtnis (von Restorff, 1933).

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Könnte es also sein, dass der stärkere Einfluss negativer Informationen daher rührt, dass sie seltener sind? Das würde bedeuten: Ökologie statt Evolution?

Diese Idee lässt sich testen, indem man die Verteilung der Informationen im Experiment verändert. Wird beispielsweise mehr positive als negative Information präsentiert, sollte sich die seltenere, negative Information stärker auswirken (Negativity Bias). Umgekehrt gilt hier aber auch, dass positive Information einen stärkeren Einfluss haben sollte, wenn sie selten ist. In diesem Fall müsste also ein Positivity Bias auftreten (Sperlich & Unkelbach, 2024).

Um das zu untersuchen, wurden Versuchspersonen zufällig in zwei Bedingungen aufgeteilt (Experiment 2 & 3). In der ersten Bedingung wurden vier neutrale Formen mit positiven Bildern kombiniert, und nur eine Form mit einem negativen Bild (negative Information selten). In der zweiten Bedingung war es umgekehrt. Hier wurden vier neutrale Formen mit negativen Bildern gezeigt und nur eine neutrale Form mit einem positiven Bild (positive Information selten).

Das Ergebnis zeigte genau das erwartete Muster: Das eine negative Bild in der ersten Bedingung hatte mehr Einfluss als die vier negativen in der zweiten Bedingung – ein Negativity Bias. Gleichzeitig hatte das eine positive Bild in der zweiten Bedingung mehr Einfluss als die vier positiven Bilder in der ersten Bedingung – ein Positivity Bias.

Negative Information scheint bei Evaluativer Konditionierung also nur dann – im Sinne eines Negativity Bias – stärker zu wirken, wenn sie selten ist. Ob es trotzdem einen evolutionär bedingten „Vorteil“ gibt, hat die Studie nicht direkt getestet.

Grundsätzlich gilt bisher: Weder ökologische noch evolutionäre Faktoren allein können die Entstehung von Negativity Biases erklären. Wie bei vielen psychologischen Phänomenen ist es gut möglich, dass mehrere Erklärungen gleichzeitig zutreffen.

Der Negativity Bias ist also kein reines Produkt der Evolution – auch Kontext und Häufigkeit (und damit die Ökologie) spielen eine Rolle. Was selten ist, wirkt stärker – ganz gleich, ob positiv oder negativ.

Literaturverzeichnis

Baumeister, R. F., Bratslavsky, E., Finkenauer, C., & Vohs, K. D. (2001). Bad is stronger than good. Review of General Psychology, 5(4), 323-370. https://doi.org/10.1037/1089-2680.5.4.323

De Houwer, J., Barnes-Holmes, D., & Moors, A. (2013). What is learning? On the nature and merits of a functional definition of learning. Psychonomic Bulletin & Review, 20, 631-642. https://doi.org/10.3758/s13423-013-0386-3

Sperlich, L. M., & Unkelbach, C. (2025). Why is there no negativity bias in evaluative conditioning? A cognitive-ecological answer. Journal of Personality and Social Psychology, 128(1), 19-37. https://doi.org/10.1037/pspa0000431

Unkelbach, C., Koch, A., & Alves, H. (2019). The evaluative information ecology: On the frequency and diversity of “good” and “bad”. European Review of Social Psychology, 30(1), 216–270. https://doi.org/10.1080/10463283.2019.1688474

Von Restorff, H. (1933). Über die Wirkung von Bereichsbildungen im Spurenfeld. Psychologische Forschung, 18, 299-342. https://doi.org/10.1007/BF02409636

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Bild 2: Selbst erstellt mit Canva

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