Schlechte Leistung, gute Note: Wieso es manchmal gut ist, Erste(r) zu sein
Gute Nachrichten: Auch bei schlechter Vorbereitung auf eine mündliche Prüfung gibt es noch Hoffnung. Forschung zu Urteilstendenzen in aufeinanderfolgenden Bewertungssituationen zeigt, dass schlechte Leistungen zu Beginn einer Bewertungssequenz besser bewertet werden als am Ende.
Gute Nachrichten für die einen können schlechte Nachrichten für die anderen sein. Solltest du dich ausgezeichnet auf die mündliche Prüfung vorbereitet haben, so solltest du eher hoffen, deine Prüfung nicht als Erste(r) ablegen zu müssen. Der Grund hierfür ist der Befund, dass extreme Urteile (im Prüfungsfall also die Bestnote oder die schlechteste Note) zu Beginn einer Reihe von Urteilen vermieden werden. Ein ausführlicher In-Mind-Artikel zu diesem Thema findet sich hier: Bekomme ich immer schlechtere Bewertungen weil ich als Erster dran bin? Das Problem der Kalibrierung in Wettkampf- und Prüfungssituationen
ForscherInnen begründen diese Urteilsverzerrung mit einer motivationalen Tendenz auf Seiten der Prüfenden und bezeichnen diese als Kalibrierungseffekt (Unkelbach, Ostheimer, Fasold & Memmert, 2012). Müssen Prüfungen einzeln und unmittelbar nach der jeweiligen Prüfungsleistung bewertet werden, vergeben Prüfende zu Beginn einer Reihe von Prüfungen tendenziell eher Noten im Mittelfeld. Grund hierfür ist, dass die prüfende Person noch nicht weiß, was auf sie zukommt; sie ist noch nicht kalibriert. Das bedeutet, es liegt noch keine innere Skala vor, auf der sie die Prüfungsleistungen positionieren könnte, um ein faires Urteil treffen zu können. Gibt sie dem ersten Prüfling bereits die Bestnote, nimmt sie sich die Möglichkeit, nachfolgenden KandidatInnen bessere Noten zu geben, auch wenn diese eine bessere Leistung erbracht haben sollten. Gleiches gilt für die schlechteste Note. Personen, die im Laufe der Bewertungsserie schlechter abschneiden als der erste Prüfling, können nicht mehr mit einer noch schlechteren Note belangt werden. Erst mit zunehmender Anzahl an Prüfungen werden die Bewertungen akkurater, da die innere Skala präzisiert werden kann. Schwächere Leistungen profitieren somit von fehlender Kalibrierung, während stärkere einen Nachteil haben (Unkelbach et al., 2012). Um diese Urteilsverzerrung zu vermeiden, sollte das Urteil daher entweder am Ende einer Serie getroffen werden (Unkelbach et al., 2012) oder die best- und schlechtmöglichste Leistung im Vorfeld bekannt sein, um die innere Bewertungsskala daran kalibrieren zu können (Fasold, Memmert & Unkelbach, 2015).
Erste(r) zu sein, ist also immer dann gut, wenn du dich schlecht auf eine Prüfung vorbereitet hast. In diesem Fall hast du aufgrund des Kalibrierungseffekts die Chance, eine bessere Note zu erhalten, als du verdient hättest. Bist du dagegen sehr gut auf eine Prüfung vorbereitet, besteht durch deine Position als Erste(r) eine höhere Wahrscheinlichkeit, schlechter bewertet zu werden als angebracht. Um die Fairness zu erhöhen, lohnt es sich daher – wenn möglich – Bewertungen am Ende der Serie zu verlangen oder Lehrpersonen darauf aufmerksam zu machen, sich den Bezugsrahmen bereits im Vorfeld bewusst zu machen.
Quellen:
Fasold, Memmert, & Unkelbach (2015). A theory-based intervention to prevent calibration effects in serial sport performance evaluations. Psychology of Sport and Exercise, 18, 47-52.
Unkelbach, Ostheimer, Fasold, & Memmert (2012). A calibration explanation of serial position effects in evaluative judgments. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 119, 103-113.
Bildquelle:
Leonardo Toshiro Okubo via Unsplash
Autor*innen
Artikelschlagwörter
Blog-Kategorien
- Corona (27)
- Für-Kinder (0)
- In-eigener-Sache (8)
- Interviews (11)
- Rechtspsychologie (24)
- Sozialpsychologie (214)
- Sportpsychologie (37)
- Umweltpsychologie (22)