„Warum willst du keine Kinder, was ist falsch mit dir?“ – Warum Vorurteile gegenüber kinderlosen Frauen so hartnäckig sind

Kinder zu bekommen ist eine persönliche Entscheidung. Doch auch heute noch wird in der Gesellschaft intensiv darüber diskutiert, wie wichtig es für Frauen sei, Mutter zu werden. Der Druck auf Frauen hat gesundheitliche Folgen. Wie werden freiwillig kinderlose Frauen wahrgenommen und warum ist die Erwartung an die Mutterrolle so schwer zu verändern?

„Wird es nicht langsam mal Zeit für Kinder? Arbeite nicht so viel, du wirst nicht jünger“, „Bist du sicher, dass du keine Kinder willst? Das wirst du später bereuen“: Solche Kommentare bei Familientreffen oder in den sozialen Medien zeigen, wie tief die Gesellschaft mit ihren Erwartungen in die Lebensentscheidungen von Frauen einzugreifen versucht. Auch Aussagen von Politiker:innen zeigen, wie sehr die Mutterrolle als Rezept für Erfolg gilt. Der türkische Präsident Erdoğan meint, dass kinderlose Frauen ‚mangelhaft und unvollständig sind, egal wie erfolgreich ihre Karriere ist‘. Die britische Politikerin Andrea Leadsom deutete an, sie sei als Premierministerin besser qualifiziert als ihre Gegnerin Theresa May, da sie Kinder hätte. 

Geschlechtsspezifische Vorurteile sind in unserer Gesellschaft weit verankert. Frauen, die sich gegen gesellschaftliche Erwartungen auflehnen, erfahren Gegenwind. Ein Beispiel sind Frauen in Führungspositionen: Frauen, die sich als durchsetzungsfähig zeigen, werden zwar als kompetent erkannt, aber als weniger sympathisch und geeignet angesehen, verglichen mit Männern, die sich gleich verhalten. Gibt sich eine Frau eher als traditionell feminin, wird sie zwar eher eingestellt, aber weniger respektiert und schwächt ihre Chancen, eine Führungsposition zu erreichen (Rudman et al., 2012). 

Frauen, die freiwillig kinderlos sind, sind vom Druck durch gesellschaftliche Erwartungen besonders betroffen. In Deutschland lag die Kinderlosenquote im Jahr 2022 bei 20%, bei Frauen mit akademischen Abschlüssen höher als bei Nichtakademikerinnen (Destatis, 2024). Aktuelle Forschungsergebnisse belegen, dass Frauen, die sich gegen die Mutterrolle entscheiden, negativer bewertet werden als Frauen, die Kinder haben: Freiwillig kinderlose Frauen werden als psychisch unangepasst, unerfüllt und unmoralisch angesehen. Sie werden auch als weniger nett und fürsorglich eingeschätzt. Außerdem wecken sie in anderen Menschen Gefühle wie Misstrauen oder Wut und können gemieden werden, zum Beispiel als Freundin oder Geschäftspartnerin (Szekeres et al., 2023).

Die Mutterrolle ist scheinbar wichtiger als andere Erwartungen an Frauen. Die Gesellschaft betrachtet das Muttersein als die Hauptrolle der Frau und fordert, dass sie diese übernimmt. Freiwillig kinderlose Frauen wurden in aktuellen Studien noch negativer bewertet als Frauen, die andere Geschlechtervorstellungen brechen, zum Beispiel solche, die in männerdominierten Berufen oder Führungspositionen arbeiten. Haben Frauen, die andere Geschlechtervorstellungen verletzen, aber Kinder, werden sie eher von der Gesellschaft akzeptiert. Zum Beispiel werden Karrierefrauen eher als kalt empfunden, jedoch als wärmer, wenn sie Kinder haben. Somit wird es als akzeptabel angesehen, wenn Frauen Karriere machen, wenn sie weiterhin ihre Rolle als Mutter erfüllen (Szekeres et al., 2023). 

Warum reagiert die Gesellschaft so abwertend auf kinderlose Frauen? Der Grund scheint die bewusste Entscheidung gegen Kinder und somit gegen die Mutterrolle zu sein, nicht das Fehlen von Kindern an sich. Frauen, die unfreiwillig kinderlos sind, werden eher akzeptiert und bemitleidet. Die Gründe für die zentrale Rolle als Mutter liegen zum einen darin, dass Frauen biologisch gesehen Kinder gebären können und Muttersein in der Evolution sinnvoll war, und zum anderen, dass diese Vorstellung durch gesellschaftliche und kulturelle Überzeugungen verstärkt wird. 

Das Wohlbefinden von Frauen wird beeinträchtigt durch den Druck, den gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen. Kinderlose Frauen sind weniger glücklich und zufrieden mit ihrem Leben, wenn sie in Gesellschaften leben, in denen die Erwartungen an die Mutterrolle besonders hoch sind. Durch den Druck können sich Frauen unzulänglich fühlen, wenn sie keine Kinder wollen. Wie wir anhand der Kommentare in den sozialen Medien und den Forschungsergebnissen sehen, ist das Thema ‚Kinder‘ ein sensibles Thema. Die Gründe für eine solche persönliche Entscheidung sind von Person zu Person verschieden. Wenn offene Gespräche darüber schwierig sind, ist es vielleicht besser, dieses Thema beim nächsten Familientreffen zu meiden. 

Literaturverzeichnis

Rudman, L. A., Moss-Racusin, C. A., Phelan, J. E., & Nauts, S. (2012). Status incongruity and backlash effects: Defending the gender hierarchy motivates prejudice against female leaders. Journal of Experimental Social Psychology, 48(1), 165-179. https://doi.org/10.1016/j.jesp.2011.10.008

Szekeres, H., Halperin, E., & Saguy, T. (2023). The mother of violations: Motherhood as the primary expectation of women. British Journal of Social Psychology, 62(4), 1875-1896. https://doi.org/10.1111/bjso.12661

Destatis (2024). Kinderlosigkeit und Mutterschaft. Erstergebnisse des Mikrozensus 2022. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Gebur...

Bildquelle

eyeforebony via unsplash