Was man von Spinoza über Fake News lernen kann

Ob und in welchem Ausmaß gezielte Falschmeldungen die öffentliche Meinung und möglicherweise sogar Wahl- und Abstimmungsergebnisse beeinflussen können, wird derzeit heiß diskutiert. Könnte es sein, dass die Wirksamkeit von Fake News durch die Art der menschlichen Informationsverarbeitung begünstigt wird? Interessanterweise stellte der Philosoph Baruch de Spinoza vor mehr als 300 Jahren Überlegungen zur Entstehung subjektiver Überzeugungen an, die auch aus heutiger Sicht für das Verständnis der Wirkung von Fake News relevant sind.

Bild 1: Ein Mann liest ZeitungBild 1: Ein Mann liest ZeitungSpinoza war der Meinung, dass wir eine Aussage vorübergehend als wahr akzeptieren müssen, um sie überhaupt verstehen zu können. Haben wir eine Aussage einmal verstanden, so können wir sie natürlich als unwahr zurückweisen, was jedoch einen zusätzlichen Verarbeitungsschritt darstellt und kognitive Anstrengung erfordert. Sollte Spinoza recht haben, so hätten Fake News in diesem frühen Stadium der Informationsverarbeitung bereits einen klaren Vorteil auf ihrer Seite: Immer dann, wenn uns die Fähigkeit oder die Motivation fehlt, eine falsche Aussage beim ersten Kontakt genau zu prüfen und sie aktiv zu falsifizieren, sollten wir sie später, wenn wir uns daran erinnern, eher für wahr als für falsch halten. Die Frage nach der Entstehung subjektiver Überzeugungen, die den Philosophen Spinoza bewegte, fällt heute in das Gebiet der Psychologie, und man versucht, durch Experimente zu einer Antwort zu gelangen.

Daniel Gilbert und Kollegen (1990; siehe auch Gilbert, 1991) präsentierten ihren Versuchspersonen beispielweise Aussagen über die Bedeutung von Vokabeln aus der Sprache der Hopi-Indianer (z.B. „Ein tica ist ein Fuchs.“), wobei diese Aussagen explizit als wahr oder falsch gekennzeichnet wurden. Während der Verarbeitung eines Teils der Aussagen mussten die Personen zusätzlich auf einen ablenkenden akustischen Reiz reagieren. Etwas später wurden die Aussagen erneut präsentiert und die Personen sollten angeben, ob sie wahr oder falsch sind. Es zeigte sich, dass die ablenkende Zusatzaufgabe den Effekt hatte, dass viele unwahre Aussagen fälschlicherweise als wahr klassifiziert wurden. Jedoch erhöhte die Zusatzaufgabe nicht die Häufigkeit des umgekehrten Fehlers, dass wahre Aussagen als unwahr klassifiziert wurden. Dieses Ergebnismuster bestätigt Spinozas Hypothese, dass Aussagen bei der Verarbeitung zwangsläufig zunächst als wahr akzeptiert werden, sodass mangelnde Aufmerksamkeit bei der Informationsaufnahme den Fehler begünstigt, explizit falsche Aussagen später für wahr zu halten. Damit dieser Erklärungsansatz wirklich greift, ist es jedoch wichtig, zu erwähnen, dass vollkommen neue Aussagen, die erst in der Phase des Wiedererkennens zum ersten Mal präsentiert wurden, nicht überwiegend als wahr klassifiziert wurden. Dies spricht dagegen, dass das Ergebnismuster durch einen reinen Rateeffekt zu erklären ist (dass also die Zusatzaufgabe zur Folge hatte, dass die Versuchspersonen hinsichtlich des Wahrheitsgehalts der Aussagen raten mussten und während des Ratens dazu tendierten, eher „Wahr“ als „Falsch“ zu sagen).

Konnten auch andere Studien die Sichtweise Spinozas bestätigen? Teilweise ja und teilweise nein: So konnten etwa Uri Hasson und Kollegen (2005) die Ergebnisse von Gilbert und Kollegen (1990) replizieren, wenn sie Aussagen verwendeten, deren Verneinung keinen besonderen Informationsgehalt hat, weil man aus ihnen keine weiter gehenden Schlussfolgerungen ableiten kann.  Eine solche Aussage wäre z.B.  „Anja F. läuft barfuß zur Arbeit“. Aus der Information, dass diese Aussage falsch ist, lässt sich so gut wie nichts über Anja F. ableiten. Anders verhält es sich bei einer Aussage wie „Anja F. besitzt einen Fernseher“. Aus der Information, dass diese Aussage falsch ist, könnte man z.B. ableiten, dass Anja wahrscheinlich gerne liest. Bei derartigen Aussagen scheinen wir sehr wohl in der Lage zu sein, die Implikation der Verneinung sehr schnell zu erfassen und abzuspeichern, sodass eine Ablenkung unserer Aufmerksamkeit während der Informationsaufnahme nicht dazu führt, dass die eigentlich falsche Aussage später beim Erinnern häufig für wahr gehalten wird. In einer anderen Studie (Richter, Schroeder & Wöhrmann, 2009) traf Spinozas Sichtweise für Aussagen zu, zu denen Personen wenig Hintergrundwissen hatten, während es bei viel Hintergrundwissen offensichtlich auch unter Ablenkung möglich ist, das automatische Akzeptieren falscher Aussagen zu unterbinden.

Was können wir also von Spinoza über Fake News lernen? Auch wenn seine Sichtweise nicht für alle Arten von Aussagen und in allen Situationen zu gelten scheint, kann sie durchaus ihren Teil dazu beitragen, zu verstehen, warum Fake News oft so schwer aus der Welt zu schaffen sind: Bei oberflächlicher Verarbeitung von Informationen über Themen, zu denen wir wenig Hintergrundwissen haben, kann es durchaus passieren, dass Aussagen, selbst wenn sie zunächst klar als falsch erkennbar sind, später für wahr gehalten werden (siehe auch Lewandowsky und Kollegen, 2012).

 

Literaturverzeichnis

Gilbert, D. T. (1991). How mental systems believe.American Psychologist, 46(2), 107-119.

Gilbert, D. T., Krull, D. S., & Malone, P. S. (1990). Unbelieving the unbelievable: Some problems in the rejection of false information. Journal of Personality and Social Psychology, 59(4), 601-613.

Hasson, U., Simmons, J. P., & Todorov, A. (2005). Believe it or not: On the possibility of suspending belief. Psychological Science, 16(7), 566-571.

Lewandowsky, S., Ecker, U. H., Seifert, C. M., Schwarz, N., & Cook, J. (2012). Misinformation and its correction: Continued influence and successful debiasing. Psychological Science in the Public Interest, 13(3), 106-131.

Richter, T., Schroeder, S., & Wöhrmann, B. (2009). You don't have to believe everything you read: Background knowledge permits fast and efficient validation of information. Journal of Personality and Social Psychology, 96(3), 538-558. 

 

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