Woher wissen wir eigentlich, was es heißt „deutsch“ zu sein? Zur Frage von Nationalismus, Patriotismus und Nationale Identitäten.

Patriotismus ist derzeit wieder in aller Munde, oder zumindest in Form von Fähnchen und Spiegelüberziehern an vielen Autos. Eigentlich, so würden die meisten behaupten, geht es dabei ja nur ums Feiern und das Spiel. Andere warnen aber davor, dass Patriotismus als kleine Schwester des Nationalismus leicht zu Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit führt. Was aber ist das eigentlich, „sich deutsch fühlen“ und gibt es Alternativen? Dieser Beitrag beleuchtet diese Frage sozialpsychologisch.

German Fans by Stewart via Flickr (https://www.flickr.com/photos/stewied/177804778/in/album-72157594181663486/) Cc (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)„Der Sascha, der ist Deutscher und Deutschsein das ist schwer…“, sangen die Toten Hosen vor mittlerweile über zehn Jahren und spielten dabei auf damalige Nationalisten an. Einige werden sich nun fragen, „Was hat das mit der WM zu tun?“  Immerhin soll es doch um Fußball gehen und nicht um Nationalismus und wenn überhaupt, dann doch höchstens um einen „entspannten Party-Patriotismus“; Fanmeile, Fahnenmeer, Fußballgesänge, Feiern und mehr nicht. Wissenschaftler/ innen wie bspw. Heitmeyer (vgl. Staud, 2012) oder Schediwy (2012) warnen davor, dass man letzteres – also Party-Patriotismus – scheinbar schwerlich ohne ersteres, fremdenfeindlichen Nationalismus haben kann. Zu schnell, so der Konsens wird aus dem „Stolz auf Deutschland“ ein „Wir sind besser als die!“ Woher kommt diese Tendenz und, viel wichtiger, muss es so sein? Was heißt eigentlich Nationalstolz aus psychologischer Perspektive?

Im Allgemeinen gibt es in der Psychologie sehr viele Definitionen von Gefühlen rund um die Nation (vgl. Sapountzis, 2008). Zum einen gäbe es den „Patriotismus“ oder, anders gesagt: „Ich bin stolz auf mein Land und seine Institutionen.“ Hier sind andere Nationen erst einmal egal. Diese kommen bei Nummer zwei, dem „Nationalismus“ ins Spiel. Hierbei tritt zum Stolz auf das „eigene“ die Abwertung eines „anderen“ Land(es). Rein empirisch, hängen beide dabei durchaus zusammen, immerhin wird jeder Nationalist behaupten, er sei ‚nur‘ patriotisch. Deshalb geht die Tendenz in den Studien vergangener Jahre zunehmend dahin, „nationale Identifikation“ zu erfragen. Das heißt, anstatt anzunehmen, es gehe bereits schon um Stolz oder Vorurteil, wird erst einmal nur gemessen, wie sehr Leute sich „als Deutsche“ sehen. Je mehr sich jemand dann als „deutsch“ sieht, umso mehr wird er oder sie dann auch „deutsch“ handeln wollen.  Bliebe die Frage: „Was ist deutsch?“ und „Woher wissen wir das?“

Michael Billig (1995), ein Sozialpsychologe, beantwortet Frage zwei recht einfach. Wir werden ständig daran erinnert, worum es bei Deutschland eigentlich geht. Immerhin,  die Medien berichten über „unsere“ Fußball(national)mannschaft, es gibt einen Inlands- und einen Internationales Teil in Zeitungen, selbst die Wetterkarte zeigt selten mehr als das „deutsche“ Wetter. Ja, sogar „Papst“ sind „wir“ schon gewesen oder zumindest „Weltmeister der Herzen“. So allgegenwärtig sind diese subtilen Erinnerungen an die Nation, dass Billig sie treffend „banalen Nationalismus“ nennt. Nimmt man die Sozial- oder Heimatkunde aus der Schule und das, was sonst so als deutsche Kultur, Geschichte und Tugend gelehrt wird hinzu, ist schnell klar, woher der „deutsche“ Rahmen kommt. Und wieso dann Nationalismus? Weder wäre Goethe ein Ausländerfeind gewesen, noch meint es die Wetterkarte böse, wenn sie das Wetter für Frankreich oder Polen unterschlägt.

Hier hilft die Theorie der Sozialen Identität (Tajfel & Turner, 1979) weiter, die besagt nämlich, dass zu einem „Wir“ auch ein „Die“ gehört und Menschen schnell dazu neigen, diese beiden Gruppen miteinander zu vergleichen. Da funktioniert die Nation erst einmal wie jede andere Gruppe. Auch wer „stolze Kaninchenzüchterin“ ist, wird sich vermutlich mit Katzenliebhabern oder Kleingärtnerinnen vergleichen. Dabei muss nicht immer Diskriminierung herauskommen, aber sie wird dadurch wesentlich leichter. Unglücklich ist dabei, dass je mehr Leute sich über das „Wir“ freuen und sich damit verbunden fühlen, umso wahrscheinlicher wird es, dass man sich gegen die auch deutlicher und diskriminierender absetzen will. Dieser Mechanismus greift besonders dann, wenn es etwas zu verlieren gibt (z.B. einen Pokal) und es zwischen den beiden Gruppen eigentlich gar keine so großen Unterschiede gibt.

Was „deutsch“ ist, haben mir in einer Umfrage die Befragten einer Studie übrigens mit „Angela Merkel“, „Bier“, „Mauerfall“ und „Dichter und Denker“ beantwortet. Wie man damit nun aus das „Abgrenzungsgespenst“ los wird, ist schwer zu sagen. Allerdings, wäre es für das gemeinsame Feiern vermutlich hilfreicher sich einfach als „Fußballfans“ zu sehen und sich auch über ein Tor der anderen zu freuen. Ein schönes Tor ist schließlich auch ohne Nationaltrikot ein Hingucker. 

Quellen

Billig, M. (1995). Banal Nationalism. London: Sage.

Sapountzis, A. (2008). Towards a critical social psychological account of national sentiments. Patriotism and nationalism revisited. Social and Personality Psychology Compass, 2, 34-50.

Schediwy, D. (2012). Ganz entspannt in Schwarz-Rot-Gold? Der Neue deutsche Fußballpatriotismus aus sozialpsychologischer Perspektive. Berlin: LIT Verlag.

Staud, T. (2012). Fußballtaumel und Fremdenfeindlichkeit. online verfügbar unter: http://www.sueddeutsche.de/kultur/studie-zur-fussballweltmeisterschaft-f... (letzter Zugriff 01.07.2014).

Tajfel, H., & Turner, J. C. (1979). An Integrative Theory of Intergroup Conflict. In W. G. Austin & S. Worchel (Eds.), The Social Psychology of Intergroup Relations (p. 33-48). Monterey, CA: Brooks-Cole