Vom kleinen Unterschied

#Hansbremse - vor einem Jahr, im Herbst 2018, rückte unter diesem Hashtag die Unterbesetzung deutscher Ministerien mit Frauen in die öffentliche Diskussion. Immer noch tragen Führungskräfte dort häufiger den männlichen Vornamen Hans als irgendeinen weiblichen. Damit wurde einmal wieder die systematische Benachteiligung von Frauen zu einer gesamtgesellschaftlichen Debatte. Auch eine wissenschaftliche Frage schwingt im Hintergrund mit: Gibt es tatsächlich Unterschiede in der kognitiven Leistungsfähigkeit zwischen Männern und Frauen und woher rühren diese?

tiesDass Unterschiede im Abschneiden Männern und Frauen bei bestimmten Aufgaben existieren, ist tatsächlich relativ gut belegt. Viele Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Männer Frauen beim Rechnen und mentalen Rotieren schlagen, während sie ihnen bei bestimmten Gedächtnisaufgaben klar unterlegen sind (Voyer, Voyer & Bryden, 1995; Halpern et al., 2007, Lindberg, Hyde, Petersen & Linn, 2010).

Relevant für den gesellschaftlichen Diskurs sind ganz unabhängig von möglichen biologischen Erklärungen dieser Geschlechterunterschiede die Befunde eines europäischen Forscherteams um Daniela Weber. Sie nutzten die Daten der SHARE Studie, die seit 2004 in 27 europäischen Ländern, Menschen über 50 beim Älterwerden begleitet und dabei nicht nur Daten zur physischen und psychischen Gesundheit ihrer Teilnehmenden erfasst, sondern auch zahlreiche soziodemografische Daten zu den jeweiligen Ländern. Dies ermöglichte den Forschern die umfassende Beurteilung der Frage, wie die Chancenungleichheit in bestimmten Ländern systematisch zu Geschlechterunterschieden in kognitiven Aufgaben beiträgt.

Ausgangspunkt für das Forscherteam war der sogenannte Flynn-Effekt in Industrieländern, benannt nach dem neuseeländischen Politologen, der als erster den systematischen Anstieg des Intelligenzquotienten, kurz IQ, im 20. Jahrhundert beschrieb. Demnach hängen die verbesserten Lebensbedingungen des industriellen Zeitalters - mit einer umfassenden Gesundheitsversorgung, frei zugänglicher Schulbildung und kleineren Kernfamilien - systematisch mit einem erhöhten mittleren kognitiven Leistungsniveaus zusammen. Für Rechenleistungen konnten andere Forscher zudem zeigen, dass die Leistungsunterschiede zwischen Männern und Frauen sinken, wenn die Bildung von Frauen an die von Männern angeglichen wird.

Auch Weber und ihre Kollegen fanden den nach Flynn benannten allgemeinen Leistungsanstieg von älteren zu jüngeren Generationen, darüber hinaus zeigte sich ein Nord-Süd-Gefälle in den Leistungen. Spannend war nun aber, dass sich die Geschlechterunterschiede in den Leistungen zwischen Geburtskohorten und Regionen unterschieden und mit dem regionalen Entwicklungsniveau zusammenhingen. So schlugen skandinavische Frauen in ihrer Gedächtnisleistung Männer aller Geburtskohorten. In Mittel- und Südeuropa konnten dagegen nur Frauen jüngerer Jahrgänge die Männer im Erinnern übertrumpfen und ihr Vorsprung war geringer. Schaut man sich die Rechenleistungen an, so sind Männer den Frauen, wie bereits oben beschrieben, überlegen. Dies bewahrheitete sich für alle untersuchten europäischen Länder – jedoch schrumpft der Vorsprung der Männer von den älteren zu den jüngeren Generationen. Um herauszuarbeiten, wie sehr die Lebensbedingungen und das Lernangebot zu den Leistungen beigetragen hatten, berechneten die Forscher schließlich einen regionalen Entwicklungsindex für jede Region und jeden Geburtsjahrgang, der untersucht wurde. Dieser fasste das Bruttoinlandsprodukt, die Familiengröße, die Kindersterblichkeitsrate, die Lebenserwartung und das nationale Bildungsniveau in einer Kennzahl zusammen – alles Faktoren, die mit dem Flynn-Effekt in Zusammenhang gebracht werden. Diese Analyse zeigte, dass das regionale Entwicklungsniveau insbesondere bei Frauen mit höheren Leistungen zusammenhing. Sie profitierten stärker von den sich verbessernden Lebensbedingungen und Bildungsangeboten als Männer. Diese Gewinne scheinen zu stärkeren Unterschieden in der Gedächtnisleistung und geringeren Unterschiede in den Rechenfähigkeiten zu führen. Wie man beispielsweise in Nordeuropa, einer Region mit besonders hohem Index, sieht.

Es scheint also auch rein biologisch fundierte Unterschiede in der Kognition von Männern und Frauen zu geben, die man jedoch erst trennscharf beurteilen kann, wenn die Umweltbedingungen – also insbesondere die Bildungschancen- für alle gleich sind. Und eins sollte man bei solchen Studien nicht vergessen - hier geht es nur um Durchschnittswerte. Das Potential einer einzelnen Frau oder eines einzelnen Mannes können diese Befunde im Zweifelsfall nicht vorhersagen.

Quellen:

Biermann, K., Geisler, A., Polke-Majewski, K., Venohr, S. (2018, 8. Oktober). ‘Die Hans-Bremse‘. Zeit Online. Abgerufen von https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-09/gleichberechtigung-frauen-diskriminierung-fuehrungspositionen-ministerien

Halpern DF, et al. (2007) The science of sex differences in science and mathematics. Psychol Sci Public Interest 8(1):1–51.

Lindberg SM, Hyde JS, Petersen JL, Linn MC (2010) New trends in gender and mathematics performance: A meta-analysis. Psychol. Bull. 136(6):1123–1135

SHARE - Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe. (2019). Abgerufen 2. Dezember 2019, von http://www.share-project.org/home0.html

Voyer D, Voyer S, Bryden MP (1995) Magnitude of sex differences in spatial abilities: A meta-analysis and consideration of critical variables. Psychol. Bull. 117(2):250–270.

Weber, D., Skirbekk, V., Freund, I., & Herlitz, A. (2014). The changing face of cognitive gender differences in Europe. Proceedings of the National Academy of Sciences, 111(32), 11673-11678.

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