Was ist „Offene Wissenschaft”? Und warum braucht sie ein Wörterbuch?

 

Bei vorliegendem Beitrag handelt es sich um einen Beitrag der FORRT-Community (A Framework for Open and Reproducible Research Training) von Flavio Azevedo, Myriam BaumHelena HartmannLeticia MicheliLisa Spitzer und Tobias Wingen. Alle AutorInnen haben gleichwertig beigetragen.

 

Die Wissenschaft wird immer offener - und das ist gut so. Doch neue wissenschaftliche Praktiken schaffen neue Begrifflichkeiten und eine Sprachverwirrung droht. Ein Team von über 110 WissenschaftlerInnen hat daher nun ein erstes, gemeinsames Wörterbuch der Offenen Wissenschaft geschaffen - für alle, die bei “PARKing”, “WEIRD” und “bropenscience” nur Bahnhof verstehen.

dictionaryOffene Wissenschaft (engl. Open Science bzw. Open Scholarship) bezeichnet das Anliegen, die Offenheit, Integrität, soziale Gerechtigkeit, Vielfalt, Gleichheit, Inklusivität und Zugänglichkeit in allen Bereichen wissenschaftlicher Aktivitäten zu verbessern. Es handelt sich dabei um einen Sammelbegriff für alle Praktiken wissenschaftlichen Arbeitens, die zu diesem Ziel beitragen. In den letzten Jahren hat Offene Wissenschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen und gilt als eine zentrale Reaktion auf die sogenannte "Replikationskrise”. Als Replikationskrise bezeichnet man die Erkenntnis, dass viele bisherige Forschungsergebnisse in unabhängigen Studienwiederholungen nicht erneut gezeigt werden können. Diese Krise hat das Vertrauen in zahlreiche Wissenschaftsbereiche und in deren Forschungsergebnisse reduziert. Hiervon ist insbesondere die Psychologie stark betroffen. Praktiken der Offenen Wissenschaft leisten einen Beitrag zur Lösung dieses Problems, indem sie die Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Replizierbarkeit und damit letztlich die Glaubwürdigkeit der Forschung erhöhen. Zudem erlaubt Offene Wissenschaft einen leichteren Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen für alle - weil eben alle Informationen frei zugänglich sind.

Im Laufe des letzten Jahrzehnts hat die Offene Wissenschaft viele forschungsbezogene Begriffe eingeführt und verändert. Das “Open Scholarship” und “Open Science” englische Begriffe für Offene Wissenschaft sind, kann man sich vermutlich denken. Aber was unterscheidet die beiden Begriffe? Und was ist wiederum “bropenscience”? Geht es bei “PARKing” wirklich um Autos und sind “WEIRD”e Studienergebnisse tatsächlich merkwürdig? Diese neue und sich ständig weiterentwickelnde Terminologie sowie widersprüchliche Definitionen in verschiedenen Bereichen können gerade für NachwuchsforscherInnen schnell überwältigend wirken. Dies kann wiederum für diejenigen, die sich mit Offener Wissenschaft vertraut machen wollen, eine unerwünschte Barriere darstellen. Zudem erschwert diese Problematik die Kommunikation zwischen Forschenden sowie zwischen Lehrenden und Studierenden und schafft potenzielle Verwirrung und Missverständnisse. 

Wie also kann einer solchen Sprachverwirrung entgegengetreten werden?  Braucht Offene Wissenschaft etwa ein eigenes Wörterbuch? Tatsächlich könnte ein solches dazu beitragen, Zugangs- und Verständnisbarrieren abzubauen und eine einheitliche Kommunikationsbasis für alle wissenschaftlich Tätigen zu schaffen. Auf diese Weise bietet so ein Wörterbuch einerseits eine gute Einstiegs- und Orientierungshilfe in neue und alte Begrifflichkeiten der Offenen Wissenschaft für all diejenigen, die bisher wenig Berührungspunkte mit diesem Bereich hatten.  Andererseits kann ein solches Wörterbuch potenzielle Missverständnisse auch unter denjenigen abbauen, die zwar bereits mit den Begrifflichkeiten vertraut sind, sich aber mit vagen oder widersprüchlichen Definitionen aus verschiedenen Disziplinen konfrontiert sehen. Dies fördert die Vernetzung von Forschenden, indem es ihnen - von einer geteilten Wissensbasis aus - erleichtert, in den gemeinsamen Diskurs zu treten. Ein solches Wörterbuch ist dabei aber nicht nur für die Wissenschaftsgemeinschaft relevant, sondern erleichtert auch interessierten Nicht-WissenschaftlerInnen den Zugang zu und das Verständnis von Offener Wissenschaft.

Angesichts dieser Überlegungen setzte sich ein Team von mehr als 110 WissenschaftlerInnen (geleitet von Sam Parsons, Flavio Azevedo und Mahmoud M. Elsherif) das Ziel, genau ein solches Wörterbuch für Begriffe der Offenen Wissenschaft („Open Scholarship Glossary”) zu entwickeln. Die erste Phase dieses Projekts ist nun abgeschlossen und das Wörterbuch umfasst schon mehr als 250 Begriffe. Wer also wissen möchte, was sich hinter “PARKing” oder “bropenscience” verbirgt, kann dies nun ganz einfach selbst nachschlagen, da das Wörterbuch online unter https://forrt.org/glossary/ frei verfügbar ist. Die erste Phase des Projektes schlossen die AutorInnen des Wörterbuchs, zu denen auch wir gehören, mit einer Zusammenfassung unserer Überlegungen in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Nature Human Behavior ab (Parsons et al., 2022, frei zugängliche Version). In der zweiten Phase wird das Wörterbuch nun als offenes, dynamisches Projekt fortgesetzt. Hierbei sollen neue Begriffe aufgenommen und bestehende laufend verfeinert werden. 

Dieses “lebende”, also ständig aktualisierte Wörterbuch ist somit ein perfektes Beispiel für offene, transparente und reproduzierbare Wissenschaft, indem erstmals versucht wird, die Basis für ein gemeinsames Vokabular zu schaffen. Erstellt wurde das Glossar vom Framework for Open and Reproducible Research Training, kurz FORRT, einer Vereinigung von über 260 aktiven Mitgliedern aus den verschiedensten Hintergründen und Disziplinen, die sich alle mit unermüdlichem Enthusiasmus für die Verbesserung der Lehr- und Betreuungspraxis in der Hochschulbildung einsetzen. FORRT strebt dabei an, die Grundsätze der Offenen Wissenschaft stärker in die Hochschulbildung zu integrieren und Transparenz in der Forschung, Reproduzierbarkeit, methodischen Genauigkeit und ethisches Handeln zu fördern. Mehr Informationen zum Glossar und anderen aktuell laufenden spannenden Projekten sind auf der FORRT Website zu finden.

 

Quelle:

Parsons, S., Azevedo, F., Elsherif, M. M., Guay, S., Shahim, O. N., Govaart, G. H., Norris, E., O’Mahony, A., Parker, A. J., Todorovic, A., Pennington, C. R., Garcia-Pelegrin, E., Lazić, A., Robertson, O., Middleton, S. L., Valentini, B., McCuaig, J., Baker, B. J., Collins, E., … Aczel, B. (2022). A community-sourced glossary of open scholarship terms. Nature Human Behaviour, 1–7. https://doi.org/10.1038/s41562-021-01269-4

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