Funktioniert Therapie online? Behandlung in Zeiten von Corona und darüber hinaus.
Psychotherapie lebt vom persönlichen Kontakt. Allerdings ist es manchmal schwierig, eine Praxis zu besuchen – zum Beispiel aufgrund der Pandemie oder wegen körperlichen Einschränkungen. Aber ist es überhaupt möglich, online ein gutes Verhältnis zu Therapeut:innen aufzubauen, und ist die therapeutische Versorgung vergleichbar mit der Behandlung vor Ort?
Die Pandemie hat gezeigt, welche Bandbreite von Aktivitäten online stattfinden kann, wenn es unbedingt sein muss. Neben Vorlesungen und Arbeits-Meetings wurden nun auch Spieleabende, Dates und Beer-Tastings in die digitale Welt verschoben. So geht die Möglichkeit, Freund:innen zu treffen und Kontakte aufzubauen, zumindest nicht völlig verloren. Auch psychotherapeutische Termine fanden oft auf der heimischen Couch und über ein Videokonferenzsystem statt. Aber Kontakte sind digital einfach nicht dasselbe wie face-to-face – oder?
Eine gute therapeutische Beziehung ist wichtig für die Wirksamkeit von Psychotherapie. Sie beinhaltet, dass Patient:in und Therapeut:in eine Bindung aufbauen und dass gemeinsame Therapieziele verfolgt werden. In einer Übersichtsarbeit zur therapeutischen Beziehung im Rahmen von Videotherapie wurden 23 Studien zusammengetragen und gemeinsam ausgewertet (Simpson & Reid, 2014). Hier zeigte sich ein überraschendes Bild: tatsächlich konnte eine sehr gute therapeutische Beziehung aufgebaut werden. Patient:innen bewerteten diese mindestens so gut wie im Kontakt vor Ort. Die behandelnden Therapeut:innen ordneten die Beziehung ebenfalls als sehr gut ein, allerdings zu Beginn der Therapie interessanterweise nicht so positiv wie ihre Patient:innen. Sowohl Patient:innen als auch Therapeut:innen gaben an, völlig im therapeutischen Prozess versunken zu sein und das Medium letztlich nicht als störend wahrzunehmen. Diese Befunde zeigen, dass sich durchaus ein guter Kontakt über Videotherapie aufbauen lässt.
Allerdings hat die praktische Erfahrung auch gezeigt, dass Videotherapie durchaus mit Störfaktoren und bestimmten Schwierigkeiten verbunden ist (Markowitz et al. 2020). Eingehende E-Mails lenken ab, man sieht das eigene Gesicht, und über das Medium gehen manche Feinheiten der Mimik oder Gestik verloren. Dementsprechend ist es wichtig, sich an den Online-Kontext anzupassen und diese Herausforderungen aktiv anzugehen: indem man Emails schließt, das eigene Kamerabild minimiert, aber auch indem man explizit eigene Gefühle anspricht und nachfragt, was das Gegenüber denkt oder fühlt. Dann wird der digitale Kontext meist nicht als störend empfunden.
Hiermit sind möglicherweise die größten Bedenken gegenüber Videotherapie aus dem Weg geräumt. Aber ist Videotherapie auch genauso wirksam wie Therapie vor Ort? In einer Übersichtsarbeit wurden 43 Studien untersucht, die Videotherapie mit herkömmlicher Therapie verglichen hatten (Batastini et al. 2021). Über diese Studien hinweg konnte insgesamt kein Unterschied zwischen beiden Ansätzen gefunden werden. Auch wenn die bisherigen Studien einige methodische Mängel aufweisen, spricht nach aktuellem Stand alles dafür, dass die Videotherapie tatsächlich genauso gut wirkt wie Therapie vor Ort.
Somit stellt Videotherapie eine wirksame Alternative zu herkömmlicher Therapie dar, wenn man nicht regelmäßig eine Praxis besuchen kann oder möchte. Gründe hierfür können beispielsweise körperliche Einschränkungen, wenig Angebote im ländlichen Raum, Verpflichtungen im Alltag, oder eben Zugangsbeschränkungen durch die Pandemie sein. Psychotherapeutische Kontakte über Videokonferenz mögen nicht dasselbe sein wie vor Ort – sind in vielen Fällen aber dennoch hilfreich und bieten auch Vorteile gegenüber der herkömmlichen Therapie!
Quellen:
Batastini, A. B.; Paprzycki, P.; Jones, A. C. & MacLean, N. (2021). Are videoconferenced mental and behavioral health services just as good as in-person? A meta-analysis of a fast-growing practice. Clinical psychology review, 83, 101944.
Markowitz, J.C.; Milrod, B.; Heckman, T. G.; Bergman, M.; Amsalem, D.; Zalman, H.; Ballas, T. & Neria, Y. (2020). Psychotherapy at a distance. American Journal of Psychiatry, 178:3, 240-246.
Simpson, S. G. & Reid, C. L. (2014). Therapeutic alliance in videoconferencing psychotherapy: A review. The Australian Journal of Rural Health, 22, 280-299.
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