Lügen für die Wissenschaft? Wie Täuschung in psychologischen Studien Teilnehmende beeinflussen kann

Immer wieder wird in der psychologischen Forschung Täuschung verwendet – z. B. wird vorläufig ein anderes Untersuchungsziel vorgegeben oder Teilnehmende erhalten zunächst eine falsche Rückmeldung über ihre Leistungen, bevor sie bei Studienabschluss letztendlich aufgeklärt werden. Aber ist es in Ordnung, für Forschungszwecke zu „lügen“? Und wie wirkt sich das auf die Studienteilnehmenden aus?

Schon früh lernen Kinder, dass sie nicht lügen sollen. Dennoch greifen die meisten Personen mal zu einer Notlüge. Meistens werden diese als ethisch vertretbar angesehen, wenn sie eine gute Absicht haben, wie eine Überraschungsparty vorzubereiten (Cantarero et al., 2018). Tatsächlich wird auch in der Psychologie für manche Studien sogenannte „Täuschung“ verwendet: Es wird beispielsweise ein falsches Untersuchungsziel vorgegeben, damit die Studienteilnehmenden sich möglichst ‚natürlich‘ verhalten – also so, wie sie es im Alltag sonst auch tun würden. In anderen Studien erhalten Personen zunächst eine falsche Rückmeldung über ihre Leistungen, wenn beispielsweise untersucht wird, wie sich Erfolgs- oder Misserfolgserleben auf spätere Leistungen auswirkt. Für manche Forschungsfragen ist diese Täuschung notwendig, weil die Studienergebnisse ansonsten verfälscht würden. Jedoch gelten stets ethische Richtlinien, an welche sich Forschende bei der Planung und Durchführung von Studien uneingeschränkt halten müssen (z. B. BPD, 2016). Bevor eine Studie durchgeführt wird, entscheidet eine unabhängige Ethik-Kommission, ob die geplante Untersuchung vertretbar ist und durchgeführt werden darf. Hierbei wird insbesondere auf drei Aspekte geachtet: Erstens sollte Täuschung nur dann eingesetzt werden, wenn die Forschungsfrage nicht anders untersucht werden kann. Zweitens sollte die Täuschung so früh wie möglich aufgeklärt werden. Drittens sollte die Täuschung keine unverhältnismäßige Belastung für die Teilnehmenden darstellen (BDP, 2016). Aber wie belastend sind Studien mit Täuschung für die Teilnehmenden?

Jamison und Kolleg*innen (2006) haben eine Studie durchgeführt, in der Teilnehmende ein Computerspiel spielen sollten, wobei ihnen gesagt wurde, dass sie gegen eine andere Person antreten würden. In einer Gruppe spielten die Personen tatsächlich gegen eine andere Person. In einer zweiten Gruppe erfuhren die Teilnehmenden am Ende der Studie, dass sie eigentlich gegen einen Computer gespielt hatten. Was die Forschenden interessierte: Ob die Personen trotz Täuschung an einer zweiten Studie teilnehmen würden. Wenn Frauen getäuscht wurden, war die Wahrscheinlichkeit lediglich etwas geringer, dass sie zum zweiten Termin kamen. Die Männer nahmen sogar häufiger an der Folgestudie teil, wenn sie gegen einen Computer gespielt hatten. Täuschung verringerte also die Bereitschaft von Frauen, an einer Studie teilzunehmen, verstärkte aber die Bereitschaft von Männern.

Wie kann sich Täuschung ansonsten auf die Teilnehmenden der Forschung auswirken? In einer weiteren Untersuchung von Boynton und Kolleg*innen (2015) erhielten einige Personen falsche Informationen über den Zweck der Studie. Diese bewerteten anschließend Täuschung in psychologischer Forschung sogar positiver als Teilnehmende, die keine oder korrekte Angaben über das Ziel der Studie erhalten hatten. Wenn zu den eigenen Leistungen falsches Feedback gegeben wurde, hatte das keinen Einfluss auf die Emotionen der Teilnehmenden oder ihr Vertrauen in psychologische Forschung. Studienteilnehmende, die unprofessionell von der Versuchsleitung behandelt worden waren, berichteten allerdings mehr negative Emotionen. Diese Personen würden die Studie auch seltener an Freund*innen weiterempfehlen. Durch eine verständliche Aufklärung über die Täuschung im Nachhinein konnten diese negativen Effekte aber reduziert werden (Boynton, Portnoy & Johnson, 2015). Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Täuschung bei professionellem Verhalten der Versuchsleitung und bei guter Aufklärung im Nachhinein keine Belastung darstellt.

Täuschung hat an sich also keine negativen Auswirkungen auf Studienteilnehmende. Bei Unprofessionalität der Versuchsleitung kann diese Vorgehensweise jedoch belastend sein. Solches Verhalten sollte daher vermieden werden. In jedem Fall ist es wichtig, dass die Teilnehmenden im Nachhinein gut über die Täuschung aufgeklärt werden.

Diese Studien zeigen außerdem ganz praktisch, wieso „Notlügen“ bei manchen Forschungsfragen notwendig sind: Die Teilnehmenden hätten natürlich am Anfang gesagt bekommen können, dass es darum geht, wie sich Täuschung auf Forschungsergebnisse auswirkt. Die Versuchsleitung hätte einfach sagen können: „Uns interessiert eigentlich nur, ob sie zum zweiten Termin der Studie noch mal wieder kommen.“ – die Ergebnisse wären jedoch nicht aussagekräftig gewesen.

Wie würden Sie sich als Forscher*in entscheiden? Und wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie nach der Teilnahme an einer Studie erfahren, dass es um eine ganz andere Forschungsfrage ging, als bis dahin vorgegeben wurde?

Literaturverzeichnis

BDP (2016): Berufsethische Richtlinien des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e. V. Hg. v. Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. Berlin.

Cantarero, K., Szarota, P., Stamkou, E., Navas, M., & Domínguez Espinosa, A.D. (2018). When is a lie acceptable? Work and private life lying acceptance depends on its beneficiary. The journal of social psychology, 158 (2), 220 - 235. https://doi.org/10.1080/00224545.2017.1327404

Boynton, M. H., Portnoy, D. B., & Johnson, B. T. (2013). Exploring the ethics and psychological impact of deception in psychological research. IRB: Ethics & human research, 35(2), 7–13.

Jamison, J. R., Karlan, D. & Schechter, L. (2008). To deceive or not to deceive: The effect of deception on behavior in future laboratory experiments. Journal of Economic Behavior and Organization, 68(3–4), 477–488. https://doi.org/10.1016/j.jebo.2008.09.002