Akzeptanz statt Aggression? – Über die Wirkung eines Achtsamkeitstrainings im Gefängnis
Achtsamkeit ist im Moment in aller Munde. Plötzlich meditieren alle und machen abenteuerliche Verrenkungen in ihren Yogastunden. Achtsamkeit verbindet man häufig nur mit Selbstoptimierung oder hält es bestenfalls für ein gutes Mittel gegen Burnout. Was also hat ein Achtsamkeitstraining im Gefängnis zu suchen?
Achtsamkeit bedeutet erst einmal viele Dinge. Lebt man achtsam, so lebt man im Hier und Jetzt, ist sich seiner inneren Vorgänge bewusst, ohne diese zu bewerten. Man ist gelassen und es fällt einem leichter, unangenehme Erfahrungen zu akzeptieren. Achtsamkeit hilft zum Beispiel dabei, den/die andereN AutofahrerIn, der/die einem gerade die Vorfahrt genommen hat, nicht gleich zum Mond zu schießen, sondern sich seiner Wut bewusst zu werden und die Situation erst einmal gelassen und mit innerem Abstand zu betrachten. Achtsamkeit scheint für vieles gut zu sein, es soll zum Beispiel Selbstkontrolle stärken und moralisches Handeln fördern.
All diese positiven Effekte wollten sich Elisabeth Malouf und ihr Forscherteam von der George Mason Universityim US-Bundesstaat Virginia in einer praktischen Intervention zunutze machen. Ihre Idee war es, Straftätern, die kurz vor der Entlassung stehen, mithilfe eines Achtsamkeitstrainings Strategien an die Hand zu geben, die ihre Rückfälligkeit verhindern. Sie hatten die Hoffnung, dass das Training den Männern helfen könnte, ihre Impulse und negativen Gefühle besser kontrollieren und mit unangenehmen Erfahrungen umgehen zu können.
Hierzu untersuchten die ForscherInnen 40 Männer in einem amerikanischen Gefängnis. Sie teilten die Teilnehmer in zwei Gruppen ein, wobei die eine Gruppe die normalen Therapieangebote des Gefängnisses nutzte ( Kontrollgruppe) und die andere Gruppe zusätzlich zu den normalen Angeboten ein Achtsamkeitstraining in Form einer Gruppentherapie erhielt (Achtsamkeitsgruppe). Man interviewte die Insassen direkt nach der Teilnahme sowie drei Monate nach ihrer Entlassung zum Ausmaß ihrer Achtsamkeit, ihrer Scham- und Schuldgefühle sowie ihrer Selbst- und Emotionskontrolle und kontrollierte drei Jahre später ihre Polizeiakte auf neue Vergehen.
Die Teilnehmer der Achtsamkeitsgruppe zeigten größere Akzeptanz unangenehmer Erfahrungen unmittelbar nach dem Training sowie drei Monate nach ihrer Entlassung. Personen dieser Gruppe empfanden außerdem stärkere Selbstkritik und Scham, ein Ergebnis, das zunächst ungewöhnlich erscheint. Die Anerkennung dieser negativen Gefühle (statt Verleugnung und Schuldzuweisung an die äußeren Umstände) könnte jedoch langfristig positive Effekte haben und dafür sorgen, dass diese Insassen später seltener straffällig werden.
Tatsächlich berichteten die Personen der Achtsamkeitsgruppe drei Monate nach der Entlassung, weniger Straftaten begangen zu haben, als die Kontrollgruppe. Außerdem zeigten die Polizeiakten drei Jahre nach der Entlassung, dass die Achtsamkeitsgruppe im Schnitt weniger oft und wenn dann zu einem späteren Zeitpunkt erneut verhaftet wurde als die Kontrollgruppe. Die ForscherInnen konnten jedoch weder bei der Selbst- noch bei der Emotionskontrolle eine Verbesserung durch das Achtsamkeitstraining finden und auch keine langfristigen Unterschiede im Alkohol- und Drogenmissbrauch zwischen den beiden Gruppen feststellen.
Das Achtsamkeitstraining scheint also in bestimmten Bereichen Wirkung gezeigt zu haben und konnte langfristig zu einer Verminderung der Straffälligkeit beitragen. Vielleicht steckt hinter Achtsamkeit also doch mehr als nur ein modischer Trend, wenn sogar „harte Jungs“ davon profitieren können.
Quelle:
Malouf, E. T., Youman, K., Stuewig, J., Witt, E. A., & Tangney, J. P. (2017). A pilot RCT of a values-based mindfulness group intervention with jail inmates: Evidence for reduction in post-release risk behavior. Mindfulness, 8, 603-614.
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