Angelacht oder ausgelacht – eine Frage der Interpretation?!
Sie sind auf dem Weg zur Bushaltestelle und sehen in der Ferne eine Gruppe von Personen, die Ihnen entgegenkommt. Im Vorbeilaufen schauen Sie die Gruppe an und sehen lachende Gesichter. Ob Sie diese nun als Anlachen oder Auslachen interpretieren, könnte Auswirkungen auf Ihre psychische Gesundheit haben.
Was denken Sie – lachen die Leute an der Bushaltestelle Sie einfach nur freundlich an? Vielleicht hat auch jemand kurz zuvor etwas Lustiges erzählt und es hat gar nichts mit Ihnen zu tun. Oder hat es doch etwas mit Ihnen zu tun und Sie werden gerade vielleicht sogar ausgelacht?
Situationen, in denen wir mit solchen oder ähnlichen Interpretationsprozessen konfrontiert werden, haben sicher alle schon einmal erlebt, beispielsweise in sozialen Situationen in der Freizeit oder auf der Arbeit. Damit wir uns in der Welt einfacher zurechtfinden können, versucht unser Gehirn diese mehrdeutigen Situationen trotz mangelnder Informationen schnell aufzulösen. Das Beispiel an der Bushaltestelle kann – etwas überspitzt dargestellt – auf eine eindeutig positive oder negative Weise (Anlachen vs. Auslachen) interpretiert werden, unabhängig davon, was eigentlich „richtig“ wäre. Wenn Menschen immer wieder dazu neigen, mehrdeutige Situationen auf eine bestimmte Weise zu deuten (häufig in einer negativen Richtung), dann spricht man von einer so genannten Interpretationsverzerrung (Mathews & MacLeod, 2005).
Verschiedene Theorien zur Entstehung von beispielsweise Angststörungen oder Depressionen gehen davon aus, dass Interpretationsverzerrungen nicht nur eine Ursache für die Entstehung, sondern auch für die Aufrechterhaltung psychischer Störungen sein könnten (Hirsch et al., 2016). Wer regelmäßig „ängstlich denkt“, fühlt sich vielleicht auch öfter ängstlich und kann dadurch in eine Negativspirale gelangen.
Wie sich Interpretationsverzerrungen äußern, hängt von der jeweiligen Störung ab. Dabei geht man davon aus, dass sich die Verzerrungen besonders in Bezug auf die jeweilige Störung zeigen. Bei Patient:innen, die beispielweise an einer Panikstörung leiden, kann ein schnell schlagendes Herz sofort ein Gefühl der Bedrohung und Angst auslösen und als Zeichen für einen bevorstehenden Herzinfarkt interpretiert werden (Hirsch et al., 2016). Patient:innen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung hingegen könnten ihre Trauma-Symptome (wie zum Beispiel das ungewollte Wiedererleben des Traumas in Form von sich aufdrängenden Erinnerungen) als Zeichen dafür bewerten, dass sie das Trauma nicht verarbeiten (Woud et al., 2019).
Die Bedeutung von Interpretationsverzerrungen ist durch wissenschaftliche Forschung gut belegt und in den letzten Jahrzehnten wurden verschiedenste Ansätze entwickelt, die spezifisch darauf abzielen, Interpretationsverzerrungen zu reduzieren. Ein klassisches Vorgehen aus der kognitiven Verhaltenstherapie ist die kognitive Umstrukturierung, bei der mittels verschiedenster Techniken negative (automatische) Gedanken durch hilfreichere ersetzt werden sollen. Eine dieser Techniken ist beispielsweise der sokratische Dialog, eine Gesprächstechnik, bei der Patient:innen unterstützt werden, eigene Verzerrungen zu erkennen und zu hinterfragen (de Jong-Meyer, 2018).
Darüber hinaus wurden in der klinischen Forschung Methoden entwickelt, die mittels computergestützter Trainings versuchen, negative Interpretationsprozesse zu reduzieren, zum Beispiel sogenannte „Cognitive Bias Modification – Interpretation“-Trainings (Mathews & Mackintosh, 2000). Hierbei werden immer wieder kurze Situationsbeschreibungen präsentiert, die bis zum letzten Wort mehrdeutig sind. Das letzte Wort löst die Mehrdeutigkeit dann auf eine (meist positive) Weise auf und durch zahlreiche Durchläufe soll so ein positiverer Denkstil trainiert werden.
Gehen Sie nun noch einmal in sich… Vielleicht gab es in der Vergangenheit ein paar Situationen, bei denen aus dem „Auslachen“ jetzt ein „Anlachen“ werden würde?!
Literaturverzeichnis
de Jong-Meyer, R. (2018). Kognitive Verfahren nach Beck. In J. Margraf & S. Schneider (Eds.), Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Band 1 (pp. 499-513). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54911-7_35
Hirsch, C. R., Meeten, F., Krahé, C., & Reeder, C. (2016). Resolving Ambiguity in Emotional Disorders: The Nature and Role of Interpretation Biases. Annual Review of Clinical Psychology, 12, 281–305. https://doi.org/10.1146/annurev-clinpsy-021815-093436
Mathews, A., & Mackintosh, B. (2000). Induced emotional interpretation bias and anxiety. Journal of Abnormal Psychology, 109(4), 602–615. https://doi.org/10.1037/0021-843X.109.4.602
Mathews, A., & MacLeod, C. (2005). Cognitive Vulnerability to Emotional Disorders. Annual Review of Clinical Psychology, 1(1), 167–195. https://doi.org/10.1146/annurev.clinpsy.1.102803.143916
Woud, M. L., Cwik, J. C., Kleine, R. A., Blackwell, S. E., Würtz, F., & Margraf, J. (2019). Assessing trauma-related appraisals by means of a scenario-based approach. Cognitive Therapy and Research, 43(1), 185–198. https://doi.org/10.1007/s10608-018-9956-z
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