Dann geht mein Kind halt nicht auf das Gymnasium. Mir hat es ja auch nicht geschadet!

In Deutschland müssen sich LehrerInnen und Eltern nach der Grundschule entscheiden, ob ein Kind für das Gymnasium geeignet ist oder nicht. Dass diese Entscheidung stark von sozialen Merkmalen der Eltern beeinflusst wird, hat sich schon häufig gezeigt, aber wie wichtig ist sie wirklich für die weitere Entwicklung des Kindes?

"Enter here to grow wisdom" steht über den Türen eines Gebäudesjdog90 via flickr (https://flic.kr/p/awAXzv, CC: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode)Der Aufgliederung des deutschen Schulsystems in verschiedene weiterführende Schulen liegt die Überzeugung zugrunde, dass Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Fähigkeiten gefordert und gefördert werden sollen. Eine aktuelle Studie von Guill, Lüdtke und Köller (2017) konnte nun nachweisen, dass die Zuordnung von Schülerinnen und Schülern auf verschiedene Schultypen tatsächlich Effekte auf die Intelligenzentwicklung hat.  

In der Studie wurde untersucht, wie sich die Intelligenz von Schülerinnen und Schülernin den vier Jahren nach dem Schulübergang entwickelt. Hierzu wurden „virtuelle Zwillingspaare“ gebildet. Dies bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler miteinander verglichen wurden, welche sich anfangs hinsichtlich zahlreicher Eigenschaften (Grundintelligenz, Geschlecht, Herkunft etc.) ähnelten und nur dahingehend unterschieden, ob sie nach der Grundschule auf das Gymnasium oder einen anderen Schultyp wechselten. 

Die Intelligenz der Schülerinnen und Schüler auf dem Gymnasium wuchs in der betrachteten Zeitspanne deutlich stärker an als die Intelligenz ihrer virtuellen Zwillinge auf anderen Schultypen. Nach vier Schuljahren zeigte sich bereits ein mittelgroßer Unterschied in der Intelligenz, welcher mit hoher Sicherheit auf Unterschiede in der Beschulung zurückgeht.

Die Forscherinnen und Forscher betonen allerdings auch, dass eine breite Öffnung des Gymnasiums nicht zwingend zu einem höheren Intelligenzniveau in deutschen Schulen führen muss. Ein Teil des beobachteten Effektes könnte auf die Leistungsstärke des gymnasialen Lernumfelds zurückzuführen sein. Entsprechend könnte die Zulassung leistungsschwacher Kinder auf das Gymnasium die positive Wirkung dieser anregungsreichen Umwelt reduzieren.

Leider zeigen vorangehende Studien, dass die Schulzuweisung in Deutschland nicht nur auf Basis von kognitiven Fähigkeiten erfolgt. So haben Akademikerkinder mit einer durchschnittlichen Leseleistung in der Grundschule eine doppelt so hohe Chance, auf das Gymnasium zu wechseln, wie Kinder aus bildungsfernen Schichten (Pietsch & Stubbe, 2007). Zusammenfassend lässt sich durchaus die Frage stellen, ob das deutsche Schulsystem vor allem die Intelligenzentwicklung der Kinder anschiebt, welche von vornherein aufgrund des Einkommens und der Bildung ihrer Eltern privilegiert sind.

Quellen:

Guill, K., Lüdtke, O., & Köller, O. (2017). Academic tracking is related to gains in students' intelligence over four years: Evidence from a propensity score matching study. Learning and instruction, 47, 43-52. 

Pietsch, M., & Stubbe, T. C. (2007). Inequality in the transition from primary to secondary school: School choices and educational disparities in Germany. European Educational ResearchJournal, 6, 424-445.