Fußballvirus: Killt Corona den Heimvorteil im Fußball?
Der Fußball hat seine eigenen Gesetze, auch in Zeiten von Corona. Generell sollte man in Frage stellen, ob es in Zeiten einer weltweiten Pandemie, in der es gilt Kontaktketten zu unterbrechen, verantwortlich ist, professionelle Fußballspiele durchzuführen, bei denen Viererketten und direkte Zweikämpfe zwischen bis zu 11 SpielerInnen pro Team nun einmal sportlich dazugehören. Da derzeit trotzdem professionelle Fußballspiele stattfinden, drängt sich die Frage auf, wie sich corona-bedingt leere Stadien auf die Spielverläufe auswirken.
Schon vor Corona hat sich sportpsychologische Forschung mit der Frage beschäftigt wie sich die Anwesenheit von Fans auf Spielverläufe im Fußball auswirken. Eine Studie von Balmer und Kollegen (2007) zeigte diesbezüglich den Einfluss der durch Fans ausgelösten Geräuschkulisse auf Schiedsrichterentscheidungen. Konkret wurde festgestellt, dass die Geräuschkulisse, die beispielsweise durch Fangesänge („crowd noise“) entsteht, dazu führte, dass Schiedsrichter eher zugunsten der Heimmannschaft entschieden. Außerdem wurden die Schiedsrichter ängstlicher und mental angestrengter. Die Autoren diskutierten, ob die Schiedsrichter die eher gewünschten Entscheidungen zugunsten des Heimteams trafen, um so die eigene Anspannung zu reduzieren (Balmer et al., 2007). Dieses Ergebnis zeigt den möglichen Einfluss, den die Anwesenheit von Fangesängen auf die Schiedsrichterentscheidung haben kann.
Die Corona-Situation liefert nun quasi ein natürliches Experiment, um diese und ähnliche Effekt zu untersuchen, weil sie durch Ausschluss von Fans aus den Stadien die mögliche Einflussvariable „Fananwesenheit“ eliminiert. FußballliebhaberInnen in Deutschland mutmaßen, dass die Teams aktuell unterschiedlich beeinflusst werden: so hat beispielsweise der 1. FC Köln ohne Fans schon sehr lange nicht mehr Zuhause gewonnen, während im Gegenteil dazu Union Berlin auch ohne Fans heimstark bleibt. Um diese Vermutung über mehrere Teams hinweg nun systematisch auszuwerten, verglichen ForscherInnen dazu Fußballspiele der Saison 2018/2019 vor Corona mit Spielen der Saison 2019/2020 (z. B. Fischer & Haucap, 2020; McCarrick et al., 2020; Tilp & Thaller, 2020). In Hinblick auf Sieg und Niederlage zeigen Analysen von Tilp und Thaller (2020), dass Heimmannschaften in der Fußballbundesliga ohne Publikum verhältnismäßig mehr Karten vom Schiedsrichter erhielten als mit Publikum. Dies deutet an, dass sich der Heimvorteil in Form von milderen Schiedsrichter-Urteilen ohne Publikum nicht mehr zeigt. In einer umfassenderen Analyse der europäischen Fußballspiele unterstreicht das Team um McCarrick (2020), dass der Heimvorteil gemessen in geschossenen Toren und gewonnen Punkten ohne Publikum niedriger ausfällt als mit Publikum vor Corona.
Insgesamt weisen diese aktuellen Studien also darauf hin, dass der Heimvorteil ohne Fans weniger stark zum Tragen kommt. Ob dies wohl dazu führen wird, dass der Fußball neue, wieder eigene Gesetze schreibt? Wie dem auch sei, trotz der aufschlussreichen Ergebnisse eint ForscherInnen und FußballliebhaberInnen der Wunsch und die Hoffnung, dass in den Stadien dieser Welt – von Maracanã bis zum Stadion An der Alten Försterei – möglichst bald wieder ausgelassen und laut gegrölt werden kann (auch ohne auf die dabei austretenden Aerosole achten zu müssen).
Quellen:
Balmer, N. J., Nevill, A. M., Lane, A. M., & Ward, P. (2007). Influence of crowd noise on soccer refereeing consistency in soccer. Journal of Sport Behavior, 30(2), 130.
Fischer, K. and Haucap, J. (2020), Does Crowd Support Drive the Home Advantage in Professional Soccer? Evidence from German Ghost Games During the Covid-19 Pandemic (2020). CESifo Working Paper No. 8549, Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=3697062
McCarrick, D. J., Bilalic, M., Neave, N., & Wolfson, S. (2020, August 11). Home Advantage during the COVID-19 Pandemic in European football. https://doi.org/10.31234/osf.io/2gkht
Tilp, M., & Thaller, S. (2020). Covid-19 has turned home-advantage into home-disadvantage in the German Soccer Bundesliga. Frontiers in sports and active living, 2, 165.
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