Himmlisch olympisch: Leidenschaft und Transformation

Bislang war „Leidenschaft und Transformation“ für uns nur das Motto der Olympischen Spiele 2016 in Rio. Doch dann kam alles anders. Sowohl bei der Eröffnungsfeier des deutschen Hauses als auch der Spiele wurden wir von sozialem Identitäts- und emotionalem Ansteckungserleben überrascht.

Als wir am Vortag der Olympischen Spiele bei der Eröffnung des deutschen Hauses ein in schwarz-rot-goldenes Licht getauchtes Strandhaus an der Lagune von Barra da Tijuca Ipanema – Rio de Janeiro von Higor de Padua Vieira Neto via Flickr (https://www.flickr.com/photos/higordepadua/16304117502), cc (https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/)erblickten, spürte man eine untypisch deutsche Leichtigkeit. Stereotype deutsche Korrektheit erwartete uns dann jedoch an der Eingangskontrolle. Während ein deutscher Sicherheitschef mit präzisen Anweisungen auf perfektem Deutsch und Portugiesisch effizient den Andrang der Gäste kontrollierte, schauten vier brasilianische Sicherheitskräfte gleichzeitig in einen Monitor zur Handtaschenkontrolle. Dadurch entstand der Eindruck, dass die letztere Schlange sich vierfach langsamer vorwärtsbewegte. 

Im deutschen Haus machte der Anblick der Medaillenhoffnungen und Fahnenträger „stolz wie Bolle“ in ihren Deutschlandoutfits den Stolz Deutschland bei Olympia zu vertreten und die Hoffnung zu gewinnen auch für uns spürbar. Dieses Identitätsgefühl wird in der Forschung als soziale Identität beschrieben und bezeichnet den Teil des individuellen Selbstkonzepts, der sich aus der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe und dem damit verbundenen emotionalen Wert speist (Tajfel, 1981). Murrell und Gartner (1992) konnten im Sport zeigen, dass eine gemeinsame soziale Identität einen positiven Effekt auf die Teamleistung hatte: Erfolgreiche Teams maßen einer übergeordneten Teamidentität mehr emotionale Bedeutung bei als schlechter platzierte Gegner. Ob sich dieser positive Effekt auch für die deutsche Olympiamannschaft vorhersagen lässt? An diesem vorolympischen Abend wollten wir das deutsche Team nicht mit der Team-Identifikations-Skala befragen. Die uns umgebenden Turnbeutel bedruckt mit „#WirfuerD“, deutschlandfarbene USB-Sticks in Adiletten-Form und der extra engagierte deutsche Fanreporter sollten aber ein starkes soziales Identitätsgefühl transportieren. Gleichzeitig zeigte sich in der Abendgestaltung aber auch eine überraschende Offenheit für die brasilianische Lebensart: Leidenschaft.

Um diese Leidenschaft zu erfassen blieb uns auch am nächsten Tag „nur“ die nicht-teilnehmende Beobachtung: In der mit Sambaklängen gefüllten, schwülen Luft um Maracanã Lisa Musculus und Markus Raab für In-Mind aus Rioherrschten nicht die gewohnt standardisierten Bedingungen, um eine repräsentative Befragung durchzuführen. Einen Augenblick lang hatte man das Gefühl, dass sich die Menschen im Sambarhythmus zur Eröffnungsfeier bewegten. Augenscheinlich steckte die brasilianische Leidenschaft transportiert durch die Cariocas (Einheimische aus Rio de Janeiro) und die Atmosphäre der Stadt die Zuschauer aus aller Welt an. Als Wissenschaftler kennen wir natürlich das Phänomen der emotionalen Ansteckung, das die Übertragung von Stimmung und Emotionen zwischen Gruppenmitgliedern bezeichnet (Totterdell, 2000). Im Sport wurde ein positiver Zusammenhang zwischen Gruppenstimmung und dem emotionalen Befinden sowie der Leistung einzelner Kricketspieler demonstriert (Totterdell, 2000). Durch unserer Erfahrung denken wir, dass emotionale Ansteckung im Sport zukünftig auch über kulturelle Grenzen hinweg untersucht werden sollte, z. B. zwischen Fangruppen unterschiedlicher Nationen oder wie sie sich in interkulturellen Teams unterscheidet. Außerdem kam die Frage auf in welcher Form das Erleben von kulturellen Einflüssen, zum Beispiel durch die Transformation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, zukünftige Forschung beeinflusst?

Eine sprachliche Transformation durch interkulturelle Erfahrung drückt sich bereits in einer brasilianischen Redewendung aus, die uns ein Carioca kurz vor unserer Rückkehr nach Deutschland verraten hat: „Outro sete a um“. Sie wird dann verwendet wenn etwas in Brasilien nicht so gut gelaufen ist. „Noch ein sieben zu eins“.

 

Quellen

Murrell, A. J., & Gaertner, S. L. (1992). Cohesion and sport team effectiveness: The benefit of a common group identity. Journal of Sport & Social Issues, 16(1), 1-14.

Tajfel, H. (1981). Human groups and social categories: Studies in social psychology. London: Cambridge University Press.

Totterdell, P. (2000). Catching moods and hitting runs: mood linkage and subjective performance in professional sport teams. Journal of Applied Psychology, 85(6), 848-859. DOI: 10.1037//0021-9(110.85.6.848