Impostor-Syndrom: Der Einfluss des Kontexts auf das Gefühl, sich zum Erfolg hochgestapelt zu haben

Das Impostor- Syndrom (auch: Hochstapler- Syndrom, Impostor-Phänomen) beschreibt Personen mit Schwierigkeiten, ihre objektiv messbaren Erfolge ihren Fähigkeiten (anstelle von Glück oder Zufall) zuzuschreiben. Sie leben in ständiger Sorge, als Betrüger oder Hochstapler entlarvt zu werden. Meist wird das Problem dem Individuum zugeschrieben, das dysfunktionale Verhaltensweisen und Persönlichkeitszüge zeigt. Aber welche Rolle spielt der gesellschaftliche, organisationale und soziale Kontext für das Phänomen?

Wir alle kennen Filme wie „Catch me if you can“ über den berühmten Hochstapler Frank Abagnale. Mit solchen Hochstaplern - im Englischen auch “impostors” genannt - hat das sogenannte Impostor- Syndrom jedoch nichts zu tun. Während Frank Abagnale absichtlich Urkunden gefälscht und sich ganz wissentlich als Pilot oder Arzt ausgegeben hat, sind Personen, die am Impostor- Syndrom leiden, Menschen, die ihre Rolle oder Funktion berechtigterweise innehaben, sich jedoch so fühlen, als hätten Sie diese nicht verdient. Wenn Sie sich also im beruflichen Kontext schon einmal gedacht haben, dass Sie der Situation gar nicht gewachsen seien und es nur eine Frage der Zeit sei, bis Ihre KollegInnen und andere Personen in Ihrem Umfeld merken würden, wie gering Ihre fachlichen Kenntnisse eigentlich seien – keine Sorge! Sie sind in bester Gesellschaft: Den Ergebnissen eines systematischen Literaturüberblicks zur Folge hatten bis zu 82% aller Personen schon einmal Gedanken, die typisch für das mittlerweile auch in Populärmedien vieldiskutierte Impostor- Syndrom sind (Bravata et al., 2019). Zu beachten ist jedoch, dass diese Zahlen je nach Definition, Messinstrument und verwendeten Kriterien stark zwischen den 62 Studien, die in die Überblicksarbeit von Bravata und KollegInnen miteinbezogen wurden, variieren. 

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Züge des Impostor-Syndroms sind vor allem bei erfolgreichen Personen vertreten. Auch bekannte Persönlichkeiten wie Michelle Obama oder Facebook-COO Sheryl Sandberg sollen sich zeitweise wie „Impostors“ gefühlt haben. Der Kern des Phänomens liegt darin, dass Betroffene den Eindruck haben, ihre Leistungen und Erfolge seien nicht auf ihr Können und ihre Fähigkeiten zurückzuführen. Stattdessen sind sie davon überzeugt, dass sie nur durch Glück oder äußere Umstände Erfolge erzielen können und konnten. 

Der Großteil der Forschung konzeptualisiert das Phänomen als Persönlichkeitseigenschaft (engl. trait) und somit als Problem von Individuen, das mit geringem Selbstwert einhergeht und Individuen, die es betrifft, negativ beeinflusst. Eine aktuelle Studie von Feenstra und KollegInnen (2020) kritisiert diesen Fokus auf das Individuum und betont die Bedeutung von gesellschaftlichen, organisationalen und sozialen Einflüssen auf Impostor-Gefühle. Ein Blick auf diese Kontexte kann auch erklären, warum das Phänomen häufiger bei ethnischen Minderheiten auftritt. Auf einer gesellschaftlichen Ebene haben diese häufiger mit negativen Stereotypen zu kämpfen, beispielsweise geringerer Intelligenz, Faulheit oder unterdurchschnittlichen Leistungen. Als Reaktion auf diese negativen Stereotype könnten Mitglieder dieser Minderheiten eher den Gedanken haben, dass Ihr Studienplatz an einer Eliteuniversität auf Glück anstatt auf Leistung zurückzuführen sei. Tatsächlich konnten Studien zeigen, dass Studierende, die aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert wurden bzw. worden waren, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Impostor-Gefühle entwickelten (z.B. Cokley et al., 2013). Auf einer organisationalen Ebene (Arbeitsplatz, Universitäten) sind Minderheiten in hohen Positionen oder anderen Ämtern mit Vorbildfunktion tendenziell eher unterrepräsentiert. Dies verstärkt Zweifel über die eigene Eignung für entsprechende Positionen und erhöht die Wahrscheinlichkeit, sich in einem solchen Amt als „Impostor“ zu fühlen. Zuletzt bestimmt auch der soziale Kontext, d.h. die Einschätzung der eigenen Person durch andere, die eigenen Gefühle und damit auch den eigenen Selbstwert und das Selbstbewusstsein. 

Dieser veränderte Fokus hin zur Konzeptualisierung des Phänomens als eine psychologische Antwort auf einen dysfunktionalen Kontext hat Implikationen für die Bekämpfung von Impostor-Gefühlen. Es bedeutet eine Abkehr von Interventionen, die sich auf das Individuum fokussieren, hin zu Maßnahmen, die sich auf das Umfeld beziehen. So sollten laut Feenstra und KollegInnen (2020) vor allem existierende Stereotype in der Gesellschaft bekämpft und eine größere Diversität in Unternehmenskulturen angestrebt werden. In einer wertschätzenden und offenen Unternehmenskultur könnten außerdem nicht nur bereits bestehende Impostor-Gefühle bekämpft, sondern im Bestfall schon die Entstehung dieser Gefühle vermieden werden. Im Falle des Impostor-Syndroms heißt es also: Catch me if you can – im Kontext!

Quellen:

Bravata, D. M., Watts, S. A., Keefer, A. L., Madhusudhan, D. K., Taylor, K. T., Clark, D. M., Nelson, R. S., Cokley, K. O., & Hagg, H. K. (2019). Prevalence, predictors, and treatment of impostor syndrome: a systematic review. Journal of General Internal Medicine, 35, 1252-1275.

Cokley, K., McClain, S., Enciso, A., & Martinez, M. (2013). An examination of the impact of minority status stress and impostor feelings on the mental health of diverse ethnic minority college students. Journal of Multicultural Counseling and Development, 41, 82-95. 

Feenstra, S., Begeny, C. T., Ryan, M. K., Rink, F. A., Stoker, J. I., & Jordan, J. (2020). Contextualizing the Impostor “Syndrome”. Frontiers in Psychology, 11, 1-6.

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