In einer Therapie muss es mir erst einmal schlecht gehen, bevor es mir besser gehen kann! Oder?
Langläufig halten sich hartnäckige Gerüchte darüber, was in einer Psychotherapie passiert und was die Auswirkungen für den Patienten sind. Eins dieser Gerüchte ist die Überzeugung, dass es einem/r Patienten/in zu Beginn der Behandlung erst einmal „schlechter gehen muss“ bevor sich sein/ihr Befinden verbessert oder überhaupt verbessern kann. Was ist dran an diesem Gerücht und woher kommt die Überzeugung?
Wenn du zum Arzt gehst, verschreibt der dir ein Medikament oder eine andere therapeutische Maßnahme und wenn es wirkt, geht es dir schnell besser. Soweit unser Konzept des Wirkmechanismus „Arzt“. In der Homöopathie wird es schon wackeliger. Diejenigen, die von der Wirkung homöopathischer Mittel überzeugt sind, glauben auch oft an eine „homöopathische Erstverschlimmerung“, d. h. wenn sich der Befindenszustand zunächst verschlechtert, ist dies ein Hinweis darauf, dass man das richtige Mittel gefunden hat und nach der Verschlechterung mit einer (baldigen) Verbesserung rechnen kann. Viele Menschen scheinen der Überzeugung zu sein, dass dies auch auf psychotherapeutische Behandlungen zutrifft. Befunde aus der Praxis zeigen ein deutlich anderes Bild.
In einer Metaanalyse basierend auf 15 Studien mit 2431 Patienten konnten Howard, Kopta, Krause und Orlinsky bereits 1986 zeigen, dass das Verhältnis der Besserungsrate zu den aufgewendeten Sitzungen in Form einer negativ beschleunigten Kurve darstellbar ist. Im Klartext bedeutet das, dass für einen Großteil der PatientInnen schon in einer frühen Phase eine Verbesserung erreicht wird und ab einer bestimmten Therapiedauer eine Steigerung der Verbesserungsrate einen extremen Zuwachs des Therapieaufwandes benötigt. Gemäß dieser Metaanalyse erreichen etwa 53 % der PatientInnen nach der achten Sitzung und 74 % der PatientInnen nach der 26. Sitzung eine Verbesserung. Neuere Studien, die auf Howards Metaanalyse folgten, konnten diesen Befund immer wieder replizieren, so dass heute klar ist, dass die meisten PatientInnen so genannte „Early Responder“ sind, d. h. dass für sie die psychotherapeutischen Interventionen sehr früh positive Auswirkungen haben. Für diese Befunde gibt es unterschiedliche Erklärungsmodelle. Einer wird durch das Phasenmodell psychotherapeutischer Veränderung von Howard et al. beschrieben, in dem davon ausgegangen wird, dass es zu Begin einer Therapie zur sogenannten Remoralisierung kommt, in der sich frühzeitig das subjektive Wohlbefinden des/der Patienten/in verbessert. Dies geschieht aufgrund von positiven Erwartungen, Hoffnungen und unterstützenden Techniken, wie z. B. der Erarbeitung eines plausiblen Erklärungsmodells des Leidens oder einer klaren Eingrenzung der Symptomatik und der Ressourcenaktivierung.
Natürlich gibt es immer wieder PatientInnen, die einen anderen Verlauf zeigen, und natürlich gibt es auch Sitzungen oder Phasen in einer Psychotherapie, in denen es zu einer starken Problemaktualisierung und damit einhergehend zu einer stärken subjektiven Belastung kommt. Allgemein bleibt aber festzuhalten: Es muss mir in der Therapie nicht erst schlechter gehen, bevor es mir besser geht, sondern die allermeisten PatientInnen reagieren früh mit einer positiven Entwicklung des subjektiven Wohlbefindens!
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