Vernetzte Gehirne – von Zweisprachigkeit und Alzheimer
Sprechen Sie selber eine zweite Sprache? Und waren Sie auch immer schon davon überzeugt, wie wichtig es ist, Fremdsprachen zu lernen? Dass Zweisprachigkeit viele Vorteile hat, ist überall bekannt. Dass sie jedoch auch die Symptome von Alzheimer verzögern kann, wurde erst kürzlich entdeckt.
Zweisprachigkeit wird seit langem vor allem aus einer pädagogischen Perspektive erforscht. Seit dem letzten Jahrhundert rückte sie jedoch auch in den Fokus der Kognitiven Neurowissenschaften und ist in dieser Disziplin nun nicht mehr wegzudenken. Aber was genau interessiert uns an der Zweisprachigkeit? Ein Großteil der Forschung beschäftigt sich mit einem potentiellen Vorteil der Zweisprachigen in Aufmerksamkeits- und Aktivitätshemmung des Gehirns. Einer Theorie zu Folge sind zweisprachige Menschen besser kognitiv trainiert. Dadurch, dass sie kontinuierlich zwischen ihren Sprachen wechseln, haben sie sozusagen mehr Übung in verschiedenen Kontrollmechanismen (Bialystok et al., 2004).
Aber das ist noch nicht alles: seit einer Weile gibt es Hoffnung, dass Zweisprachigkeit die Symptome von Alzheimer hinauszögern kann. Und nicht nur um ein paar Monate, sondern im Schnitt um ganze fünf Jahre (Anderson et al., 2020). Aber wie genau kann eine zweite Sprache so viel Positives in unserem Gehirn bewirken? Zweisprachige Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens eine sogenannte kognitive Reserve, da beide Sprachen ständig aktiviert sind und deswegen verschiedene kognitive Ressourcen benötigt werden, um diese zu koordinieren. Diese kognitive Reserve funktioniert wie ein großes Ersparnis, nur das wir anstatt von Geld mehr Vernetzungen zwischen Hirnarealen ansammeln. Bei einer Erkrankung an Alzheimer, welche übrigens gleich oft bei ein- und zweisprachigen Menschen auftritt, sterben Nervenzellen des Gehirns ab und führen zu Gedächtnis-, Wahrnehmungs- und Sprachproblemen. Und hier kommt die kognitive Reserve der Zweisprachigen ins Spiel: selbst wenn diese an Alzheimer erkranken, treten die oben genannten typischen Symptome erst wesentlich später auf als bei Einsprachigen. Dank ihres durch die Zweisprachigkeit trainierten Gehirns und mehr Verknüpfungen zwischen Hirnarealen, können sie mit dem Verlust von Nervenzellen besser umgehen und diesen kompensieren. In einem fortgeschrittenen Alter haben sie sozusagen noch etwas erspartes Geld übrig und können damit ohne Probleme einen normalen Alltag bewältigen.
Wichtig ist es natürlich klarzustellen, dass auch sehr viele andere Faktoren, wie zum Beispiel Bildung und Lebensstil, die Entwicklung einer neurodegenerativen Krankheit wie Alzheimer beeinflussen und das Zweisprachigkeit nur einen Teil dazu beiträgt, Symptome hinauszuzögern. Außerdem kommt es auf die Art von Zweisprachigkeit an, denn nicht jeder bilinguale Mensch hat die gleiche Spracherfahrung gesammelt. Generell gilt, je aktiver wir uns mit einer Sprache beschäftigen, diese in verschiedenen Kontexten anwenden, und dies über einen längeren Zeitraum hinweg, desto besser das Ergebnis. Ob wir diese Sprache nun schon seit unserer Kindheit sprechen oder erst im Erwachsenenalter gelernt haben, spielt dagegen kaum eine Rolle.
Quellen:
Anderson, J. A. E., Hawrylewicz, K., & Grundy, J. G. (2020). Does bilingualism protect against dementia? A meta-analysis. Psychonomic Bulletin and Review, 27, 952-965.
Bialystok, E., Craik, F. I. M., Klein, R., Viswanathan, M. (2004). Bilingualism, aging, and cognitive control: Evidence from the Simon task. Psychology and Aging, 19(2), 290-303.
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