Wenn Vorgesetzte zu Robin Hood werden – “Robin-Hoodismus” als Reaktion auf Ungerechtigkeit am Arbeitsplatz

Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz haben wir sicherlich alle schon einmal erlebt. Dass diese per se vermieden werden sollten, versteht sich natürlich von selbst. Doch wie können Ungerechtigkeiten möglicherweise ausgeglichen werden, wenn sie doch einmal aufgetreten sind? Brauchen wir mehr Vorgesetzte, die zu Robin Hood werden?

Robin Hood Stellen Sie sich vor, Sie haben sich die letzten Wochen bei der Arbeit abgemüht und mehr geleistet als sonst. Vom Management haben Sie dafür keinerlei lobende Worte oder andere Kompensationen erhalten. Ihr Teamleiter Jens (stellvertretend für alle Vorgesetzten) hat davon Wind bekommen und findet, dass Sie ungerecht behandelt wurden und Ihre Leistung nicht gewürdigt wurde. Er gibt Ihnen daher zwei Tage zusätzlichen Urlaub, ohne dies mit dem Management abgesprochen zu haben. Frei nach dem Motto „Nimm von den Reichen, gib den Armen“ hat sich Jens also unerlaubterweise den Ressourcen des Unternehmens bedient - nämlich der von Ihnen zu leistenden Arbeitszeit, mit der das Unternehmen Geld verdient -, um die aus seiner Sicht entstandene Ungerechtigkeit auszugleichen. 

Dieses Verhalten wird auch „Robin-Hoodismus von Vorgesetzten“ genannt (Cropanzano et al., 2021). Gemeint ist damit also, dass einem Opfer von Ungerechtigkeit etwas gegeben wird, das dem Unternehmen gehört - und zwar ohne die Zustimmung des Managements. Neben Urlaubstagen können das beispielsweise auch Bonuszahlungen sein, die aus einem nicht dafür vorgesehenen Topf stammen und somit an anderer Stelle fehlen.

In einer Studie, die sich erstmalig mit dem Phänomen des Robin-Hoodismus beschäftigt hat (Cropanzano et al., 2021), wurde unter anderem untersucht, in welchen Fällen und aus welchen Gründen so ein Verhalten auftritt und wie es sich äußert. Hierbei ließ sich ableiten, dass Vorgesetzte „zu Robin Hood werden” können, wenn aus ihrer Sicht ihre Mitarbeitenden durch das höhere Management ungerecht behandelt werden. Dieser Effekt tritt hingegen nicht auf, wenn die ungerechte Behandlung durch hierarchisch Gleichgestellte erfolgt. Weiterhin tritt Robin-Hoodismus vor allem bei Verletzungen der sogenannten Verteilungsgerechtigkeit (z.B. im Zusammenhang mit materiellen Ergebnissen wie Bezahlung) und der zwischenmenschlichen Gerechtigkeit (z.B. im Zusammenhang mit respektvollem Umgang) auf (Cropanzano et al., 2021). 

Hinsichtlich der Frage, warum Robin-Hoodismus auftritt, gaben die befragten Vorgesetzten folgende Motive für ihr Verhalten an: (1) moralische Motive (z. B. sei es das „einzig Richtige” gewesen, um Gerechtigkeit wiederherzustellen), (2) Beziehungsmotive (z. B. habe mit der Aktion das positive soziale Klima und eine gute Beziehung zu den Mitarbeitenden aufrechterhalten werden sollen) oder (3) instrumentelle Motive (z. B. habe durch die Handlung die Leistung oder Motivation der Mitarbeitenden gefördert und Beschwerden vermieden werden sollen).

Als Formen der Kompensation wurden sowohl materielle (z. B. Sachgeschenke, Geld) als auch immaterielle (z. B. Urlaubstage) Formen identifiziert. 

Doch welche Risiken birgt Robin-Hoodismus von Vorgesetzten? Prinzipiell soll Robin-Hoodismus dazu dienen, eine entstandene Ungerechtigkeit wieder auszugleichen. Dieser Ausgleich muss jedoch aus Mitteln finanziert werden, die dafür nicht vorgesehen sind, und kann dazu führen, dass diese Mittel an anderer Stelle fehlen. Robin-Hoodismus wäre somit an sich unfair. Weiterhin liegt keine objektive Betrachtung der scheinbaren Ungerechtigkeit vor: Vorgesetzte entscheiden ohne Ab- und Rücksprache über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Zudem ist nicht davon auszugehen, dass verschiedene Vorgesetzte in der gleichen Situation auch die gleiche Entscheidung treffen würden. Auch das wäre wiederum als unfair einzustufen. 

Wie kann ein Unternehmen also mit „Robin Hoods” umgehen? Zum einen ist hier natürlich das Controlling gefragt, durch welches die Möglichkeiten, Gelder nicht entsprechend den Vorgaben zu verwenden, eingeschränkt werden. Um jedoch schon die Bereitschaft für Robin-Hoodismus zu verringern, verspricht ein präventiver Ansatz, bei dem regelmäßig stattfindende, offene Gespräche zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten abgehalten werden, in denen ungerecht wahrgenommene Situationen thematisiert werden, mehr Erfolg. Dies würde natürlich auch Gespräche zwischen einer Führungskraft und der darüber liegenden Hierarchieebene einschließen.

Zusammengefasst mag Robin-Hoodismus von Vorgesetzten zwar vordergründig als ehrenhaft wahrgenommen werden, erzeugt jedoch prinzipiell nur weitere Ungerechtigkeiten, ohne das eigentliche Problem zu lösen, und kann unter Umständen die ursprünglich aufgetretene Ungerechtigkeit samt ihren Konsequenzen nicht wiedergutmachen.

Quelle:

Colquitt, J. A. (2001). On the dimensionality of organizational justice: A construct validation of a measure. Journal of Applied Psychology, 86(3), 386–400. https://doi.org/10.1037/0021-9010.86.3.386

Cropanzano, R., Skarlicki, D., Nadisic, T., Fortin, M., Van Wagoner, P., & Keplinger, K. (2021). When managers become Robin Hoods: A mixed method investigation. Business Ethics Quarterly, 1–34. https://doi.org/10.1017/beq.2021.16

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