Wie Perfektionismus und Prokrastination unser Wohlbefinden beeinflussen können
Eine wichtige Aufgabe steht an, aber anstatt sie anzufangen, findet sich plötzlich ganz dringend etwas anderes zu tun. Gleichzeitig schleicht sich das schlechte Gewissen an. Das fühlt sich unangenehm an, insbesondere, wenn man das Gefühl hat, eigenen Erwartungen nicht gerecht zu werden. Dieses Phänomen wurde in einer aktuellen Studie von Lischetzke et al. (2024) untersucht. Sie erforschten, inwiefern Prokrastination die Beziehung zwischen perfektionistischem Streben und Wohlbefinden beeinflusste.
Selbstregulation und Prokrastination
Steht eine wichtige Prüfung an, ist Lernen unausweichlich. Ob das gelingt, kann davon abhängen, wie gut man sich selbst regulieren kann. Selbstregulation (self-regulation) bezeichnet die Fähigkeit, konsequent eigene Ziele verfolgen zu können. Dafür ist es notwendig, eigene Handlungen und innere Zustände, wie Kognitionen und Emotionen, bewusst zu steuern. Selbstregulation hilft, in der Vorbereitung auf Aufgaben Prioritäten zu setzen und kurzfristige Bedürfnisse zugunsten langfristiger Ziele aufzuschieben (z.B. McClelland et al., 2010, Zeidner et al., 2000).
Sie kann in zwei Arten unterschieden werden: Bei behavioraler Selbstregulation (behavioral self-regulation) geht es vor allem um Handlungen, die wir setzen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Ein größeres, in der Zukunft gelegenes Ziel, organisieren wir hierbei in kleinere Ziele (Carver & Scheier, 2000). In der Studie von Lischetzke et al. (2024) besteht das Hauptziel in der erfolgreichen Durchführung einer Lehrprobe durch eine angehende Lehrkraft. Die Vorbereitung darauf umfasst verschiedene Teilziele, wie zum Beispiel das Üben eines Lehrvortrags.
Die emotionale Selbstregulation (emotional self-regulation) bezeichnet den Prozess, Emotionen aktiv zu beeinflussen – etwa negative Gefühle abzuschwächen oder positive zu verstärken (Tamir et al., 2020). In Leistungskontexten (wie z.B. Prüfungen) ist sie entscheidend, da negative Emotionen die Leistung hemmen, während positive Emotionen sie fördern können (z. B. Pekrun et al., 2023). Emotionale Selbstregulation kann dabei helfen, kurzfristige Ziele zu erreichen.
Mangelnde behaviorale Selbstregulation führt dazu, dass zielrelevante Aufgaben bewusst zugunsten anderer Tätigkeiten aufgeschoben werden – ein Prozess, der als Prokrastination (procrastination) bezeichnet wird. Dies geschieht in dem Wissen, dass uns dadurch negative Konsequenzen für die Zielerreichung drohen und das psychische Wohlbefinden in Mitleidenschaft gezogen werden kann (Steel, 2007).
Zwei Dimensionen des Perfektionismus
Lischetzke et al. (2024) nehmen an, dass Persönlichkeitsmerkmale, wie eine Tendenz zu Perfektionismus, die Effekte von Prokrastination auf das Wohlbefinden weiter verstärken könnten. Perfektionismus kann in zwei Dimensionen unterschieden werden. Perfektionistisches Streben (perfectionistic strivings) äußert sich durch das Setzen von überdurchschnittlich hohen Zielen und Anforderungen an sich selbst. Perfektionistisches Bedenken (perfectionistic concerns) zeigt sich, wenn Menschen sich fürchten, Fehler zu machen und das Gefühl haben, die eigenen Erwartungen nicht erfüllen zu können (Stoeber & Otto, 2006). Die Studie konzentriert sich auf perfektionistisches Streben, da dessen Auswirkungen auf Wohlbefinden in der wissenschaftlichen Literatur widersprüchlich diskutiert werden.
Welche Erwartungen die Forschenden hatten
Lischetzke et al. (2024) erwarteten, dass Menschen mit sehr hohen Ansprüchen an sich selbst eine größere Angst vor einem möglichen Scheitern in einer Leistungssituation verspüren. Wer gleichzeitig zur Prokrastination neigt und Aufgaben aufschiebt, gerät eher unter Zeitdruck und Stress, was die Angst vor Misserfolg verstärken und sich negativ auf das psychische Wohlbefinden auswirken kann. Wer jedoch über hohe Selbstregulationsfähigkeiten verfügt und nicht prokrastiniert, kann von perfektionistischem Streben profitieren, da konsequent auf die Leistungssituation hingearbeitet werden kann.
Was die neue Studie herausgefunden hat
Lischetzke et al. (2024) begleiteten über neun Monate hinweg angehende Lehrkräfte, die sich auf ihre Lehrprobe vorbereiteten. Mithilfe von Fragebögen und kurzen täglichen Smartphone-Umfragen untersuchten sie, wie sich Prokrastination auf die Beziehung zwischen perfektionistischem Streben und dem Wohlbefinden der Lehrkräfte auswirkt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich perfektionistisches Streben je nach Umgang mit Prokrastination unterschiedlich auf das Wohlbefinden auswirken kann. Perfektionistisches Streben war weder grundsätzlich positiv oder negativ. Entscheidend war, wie die Teilnehmenden in der Vorbereitungsphase ihre Prokrastination regulierten.
Insgesamt neigten die Teilnehmenden dazu, über die Dauer der Untersuchung weniger zu prokrastinieren. Vermutlich durch das bewusste Vermeiden von Ablenkungen oder durch andere Strategien. Diese Personen empfanden ihren Perfektionismus als weniger belastend.
Anders sah es bei jenen aus, die über die Vorbereitungszeit hinweg weiterhin stark prokrastinierten. Bei ihnen zeigte sich, dass perfektionistisches Streben einen negativen Einfluss auf das Wohlbefinden ausübte. Im Gegensatz zu Prokrastination hatte emotionale Regulation keinen Einfluss darauf, wie sich perfektionistisches Streben auf das Wohlbefinden auswirkte.
Was du aus den Ergebnissen mitnehmen kannst
Die Studie betrachtet den Zusammenhang zwischen Perfektionismus, Prokrastination und Wohlbefinden im Kontext von Leistungssituationen. Da die Stichprobe aus angehenden Lehrkräften besteht, könnte die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Gruppen eingeschränkt sein.
Die Ergebnisse zeigen, dass Perfektionismus nicht zwangsläufig negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden hat. Entscheidend ist, dass Aufgaben nicht dauerhaft aufgeschoben werden. Die Forschenden betonen, dass es große individuelle Unterschiede im Umgang mit Leistungsdruck gibt, wie Menschen mit Leistungsdruck umgehen. Diese entscheiden darüber, ob Tendenzen zu Perfektionismus eher motivierend oder belastend sind. Verhaltensänderungen wie bessere Planung, realistische Zielsetzungen oder bewusstes Üben von Selbstdisziplin könnten unser Wohlbefinden langfristig verbessern. Ein erster Schritt könnte sein, sich auf kleine Erfolge zu konzentrieren. So können Perfektionismus und Prokrastination von Hindernissen zu Antrieben werden.
Literaturverzeichnis
Carver, C. S., & Scheier, M. F. (2000). On the structure of behavioral self-regulation. In M. Boekaerts, P. R. Pintrich, & M. Zeidner (Eds.), Handbook of self-regulation (pp. 41–84). Academic Press. https://doi.org/10.1016/B978-012109890-2/50032-9
Lischetzke, T., Grommisch, G., Prestele, E., & Altstötter-Gleich, C. (2024). Are perfectionistic strivings beneficial or detrimental to well-being and achievement? Tests of procrastination and emotion regulation as moderators. Journal of Personality, 00, 1–19. https://doi.org/10.1111/jopy.12955
McClelland, M. M., Ponitz, C. C., Messersmith, E. E., & Tominey, S. (2010). Self-regulation: Integration of cognition and emotion. In W. F. Overton & R. M. Lerner (Eds.), The handbook of life-span development, Vol. 1. Cognition, biology, and methods (pp. 509–553). John Wiley & Sons, Inc.. https://doi.org/10.1002/9780470880166.hlsd001015
Pekrun, R., Marsh, H. W., Suessenbach, F., Frenzel, A. C., & Goetz, T. (2023). School grades and students' emotions: Longitudinal models of within-person reciprocal effects. Learning and Instruction, 83, 101626. https://doi.org/10.1016/j.learninstruc.2022.101626
Steel, P. (2007). The nature of procrastination: A meta-analytic and theoretical review of quintessential self-regulatory failure. Psychological Bulletin, 133(1), 65–94. https://doi.org/10.1037/0033-2909.133.1.65
Stoeber, J., & Otto, K. (2006). Positive conceptions of perfectionism: Approaches, evidence, challenges. Personality and Social Psychology Review, 10(4), 295–319. https://doi.org/10.1207/s15327957pspr1004_2
Tamir, M., Vishkin, A., & Gutentag, T. (2020). Emotion regulation is motivated. Emotion, 20(1), 115–119. https://doi.org/10.1037/emo0000635
Zeidner, M., Boekaerts, M., & Pintrich, P. R. (2000). Self-Regulation. Handbook of Self-Regulation, 749–768. https://doi.org/10.1016/b978-012109890-2/50052-4
Bildquelle
Nubelson Fernandes via unsplash
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