Work hard? Work smart! – Willenskraft ist nur einer von vielen Wegen zum Erfolg
Der gute akademische Abschluss, die solide Altersvorsorge oder die stabile und zufriedene Ehe. Diszipliniert und erfolgreich an langfristigen Zielen zu arbeiten, wird häufig mit Willenskraft und Anstrengung in Verbindung gebracht. In der Selbstkontrollforschung mehren sich jedoch Hinweise, dass Willenskraft bei weitem nicht das einzige und oft vermutlich nicht das beste Mittel ist, um langfristige Ziele zu erreichen.
Menschen, die diszipliniert und erfolgreich auf langfristige Ziele hinarbeiten können, wird häufig große Willenskraft zugeschrieben. Diese Willenskraft, so der Gedanke, befähigt sie, kurzfristigen Impulsen zu widerstehen, die sie von ihren langfristigen Zielen abbringen würden (etwa das lecker aussehende Dessert abzulehnen – der langfristigen gesunden Ernährung wegen). Die Selbstkontrollforschung beschäftigt sich wissenschaftlich mit derartigen Konflikten zwischen kurzfristigen Impulsen und langfristigen Zielen. Auch in der Selbstkontrollliteratur ist Willenskraft als Inhibitionsfähigkeit, mit der sich unerwünschte Impulse bewusst unterdrücken lassen, ein verbreitetes Konzept, das von vielen Forschenden als wichtige Selbstkontrollstrategie angesehen wird.
Trotz der Prominenz von Willenskraft mehren sich allerdings Hinweise in der Selbstkontrollforschung, dass die Inhibition von Impulsen bei weitem nicht die einzige wirksame Selbstkontrollstrategie ist. Selbstkontrolle wird stattdessen zunehmend als Werkzeugkasten verschiedener Strategien verstanden (z. B. Fujita et al., 2020). Zu diesem Werkzeugkasten gehört etwa auch das aktive Vermeiden von Situationen, in denen unerwünschte Impulse typischerweise auftreten. So könnte eine Person zum Beispiel ihren täglichen Arbeitsweg so gestalten, dass sie gar nicht erst an der Bäckerei vorbei kommt, deren leckere, aber zuckerhaltige Köstlichkeiten sie sonst häufig in Versuchung führen. Auch mentale Strategien können dabei helfen, dass Menschen sich nicht nur auf ihre Willenskraft verlassen müssen. Sich gedanklich die langfristige Bedeutung des eigenen Verhaltens so bewusst wie möglich zu machen, lässt kurzfristig orientierte Impulse meist schnell weniger attraktiv erscheinen. Die lebhafte Vorstellung, einen frisch gebackenen Schokoladenmuffin in den nächsten Minuten genüsslich zu verzehren, ist für viele Menschen reizend. Darüber zu reflektieren, ob das Gebäck sinnvoller Bestandteil einer gesunden Ernährungsweise im Allgemeinen ist, führt hingegen schnell zu einer kritischeren Bewertung. Solche Alternativstrategien an Stelle der eigenen Willenskraft einzusetzen, wird häufig als weniger anstrengend empfunden, da sie das Auftreten von unerwünschten Impulsen von vornherein vermeiden oder zumindest deren Stärke verringern. Eine besonders interessante Erkenntnis der jüngeren Selbstkontrollforschung ist, dass gerade Menschen, die mit großem Erfolg langfristige Ziele verfolgen, sich tendenziell weniger auf ihre Willenskraft allein verlassen (z. B. de Ridder et al., 2012). Vielmehr nutzen sie häufig die beschriebenen und weitere alternative Strategien, etwa zielförderliche Gewohnheiten, aus dem Werkzeugkasten der Selbstkontrolle (z. B. Gillebaart & de Ridder, 2015; Milyavskaya et al., 2020).
Unerwünschte Impulse mit bloßer Willenskraft unterdrücken zu können, ist ohne Zweifel eine hilfreiche Fähigkeit. Besonders erfolgreich sind aber häufig diejenigen, die sich gar nicht so oft auf ihre Willenskraft verlassen müssen, weil sie die Vielfalt an Hilfsmitteln in ihrem Werkzeugkasten der Selbstkontrolle gut kennen und beherrschen.
Quellen:
de Ridder, D. T. D., Lensvelt-Mulders, G., Finkenauer, C., Stok, F. M., & Baumeister, R. F. (2012). Taking stock of self-control: A meta-analysis of how trait self-control relates to a wide range of behaviors. Personality and Social Psychology Review, 16(1), 76–99. https://doi.org/10.1177/1088868311418749
Fujita, K., Orvell, A., & Kross, E. (2020). Smarter, not harder: A toolbox approach to enhancing self-control. Policy Insights from the Behavioral and Brain Sciences, 7(2), 149–156. https://doi.org/10.1177/2372732220941242
Gillebaart, M., & de Ridder, D. T. D. (2015). Effortless self-control: A novel perspective on response conflict strategies in trait self-control. Social and Personality Psychology Compass, 9(2), 88–99. https://doi.org/10.1111/spc3.12160
Milyavskaya, M., Saunders, B., & Inzlicht, M. (2020). Self‐control in daily life: Prevalence and effectiveness of diverse self‐control strategies. Journal of Personality. Advance online publication. https://doi.org/10.1111/jopy.12604
Bildquelle:
Autor*innen
Artikelschlagwörter
Blog-Kategorien
- Corona (27)
- Für-Kinder (0)
- In-eigener-Sache (8)
- Interviews (11)
- Rechtspsychologie (24)
- Sozialpsychologie (216)
- Sportpsychologie (37)
- Umweltpsychologie (22)