Wenn die epigenetische (Stopp-)Uhr tickt: Wie Sport unser epigenetisches Alter beeinflusst
Hält Sport uns jung oder kann Sport auch negative Auswirkungen auf unseren Alterungsprozess haben? Diesen und ähnlichen Fragestellungen kann mit epigenetischer Forschung auf den Grund gegangen werden. Das sogenannte epigenetische Alter stellt eine Möglichkeit dar, das Alter von Menschen zu beschreiben, wobei es sich auf die Abweichung des biologischen vom kalendarischem Alter der jeweiligen Person bezieht.
Das epigenetische Alter ist eine Möglichkeit, den biologischen Alterungsprozess von Menschen zu beschreiben. Es wird anhand von epigenetischen Markern bestimmt, die mithilfe des DNA-Methylierungsmusters, d.h. einer spezifischen epigenetischen Markierung, ermittelt werden (Horvath, 2013). Epigenetische Marker können Umwelteinflüsse und Lebensstilfaktoren widerspiegeln und auch als Indikator für die biologische Alterung dienen. Das epigenetische Alter wird mithilfe von Algorithmen zur Extraktion von DNA-Methylierungsstellen gemessen, die das biologische Alter vorhersagen können – sogenannte epigenetische Uhren – und eine der bekanntesten Methoden ist die sogenannte „Horvath-clock“ (Horvath, 2013).
Während genetische Faktoren weitgehend unveränderlich sind, eröffnet die Epigenetik die Möglichkeit, den Einfluss von Lebensstiländerungen und Umweltfaktoren auf Alterungsprozesse zu erfassen und, basierend darauf, den Alterungsprozess zu beeinflussen. Denn epigenetische Marker stellen – verglichen mit genetischen Tests – einen dynamischeren Ansatz zur Bewertung biologischer Altersprozesse dar. Da epigenetische Marker Veränderungen abbilden können, ermöglichen sie auch eine genauere Analyse, wie regelmäßige körperliche Aktivität und regelmäßiges Sporttreiben die Gesundheit und das Altern beeinflussen (Ehlert et al., 2013; Fox et al., 2023). Halten uns also körperliche Aktivität und regelmäßiges Sporttreiben jung?
Körperliche Aktivität ist ein wichtiger Faktor, der das epigenetische Altern beeinflussen kann. In einer großangelegten Studie mit 30-94-jährigen Teilnehmenden aus der Bevölkerung konnte gezeigt werden, dass regelmäßige körperliche Aktivität negativ mit epigenetischem Altern assoziiert war. Dies wurde durch die positiven Auswirkungen auf die Immunfunktion und die kardiovaskuläre Gesundheit erklärt, wobei die Ergebnisse bedeuten, dass die Aktiven langsamer biologisch gealtert sind, also Bewegung die Menschen jung gehalten hat. Eine Zwillingsstudie konnte ebenfalls zeigen, dass Freizeitsport mit einer langsameren, beruflich ausgeübte körperliche Aktivität hingegen mit einer beschleunigten epigenetischen Alterung assoziiert war (Kankaanpää et al., 2021).
Diese Befunde bringen die Frage auf, wie sich nun Leistungssport auf biologische Alterungsprozesse auswirkt. Im Leistungssportkontext gibt es bisher nur wenige qualitativ hochwertige empirische Studien (Ehlert et al., 2013). Intensive Trainingsprogramme und häufige Wettkämpfe stellen jedoch große Anforderungen an den Körper dar und könnten das biologische Altern beschleunigen. In einer Studie mit Elite-Athtlet*innen aus Kraft- und Ausdauersportarten wurde gezeigt, dass jene beschleunigte epigenetische Alterungsprozesse vorwiesen (Spólnicka et al., 2018). Dies galt besonders für Kraftsportler*innen. Andererseits konnten die Gene, an denen veränderte Methylierungsmuster festgestellt wurden, mit antitumoralen und entzündungshemmenden Aktivitäten in Verbindung gebracht werden. Dieser Befund kann somit auch ein Puzzleteil zur Erklärung beisteuern, warum Elitetahtlet*innen ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs aufweisen. Zusammengefasst stand Leistungssport in dieser Studie zwar mit schnellerer biologischer Alterung, gleichzeitig aber auch mit möglicherweise positiven Gesundheitseffekten in Verbindung.
Zurzeit gibt es zum Zusammenhang von Leistungssport und epigenetischem Alter erst wenige Erkenntnisse. Die systematische Erforschung des epigenetischen Alters im Leistungssport hält jedoch vielversprechende Möglichkeiten für die Praxis bereit: Das epigenetische Profiling könnte Sportwissenschaftler*innen, Verbänden, Athlet*innen und Trainer*innen helfen, maßgeschneiderte Trainings- und Erholungsstrategien zu entwickeln, die nicht nur auf individuelle Höchstleistung, sondern auch auf eine gesunde Alterung abzielen. Konkret könnte Wissen über diese Zusammenhänge helfen, individualisierte Trainings- und Erholungspläne zu entwickeln, die auf das biologische Alter und die spezifische Reaktion der jeweiligen Person auf Belastungen (wie z. B. Trainingsload) abgestimmt sind. Dies würde modellbasierten Forderungen nach verstärkter Individualisierung im Leistungssport gerecht (Zentgraf & Raab, 2023). Weitergedreht könnten es epigenetische Uhren im Leistungssportkontext ermöglichen, das biologische Alter zukünftig dynamisch zu beobachten und Athlet*innen bei der Optimierung ihrer Karriere und Gesundheitsvorsorge zu unterstützen – auch damit die epigenetische (Stopp-)Uhr nicht zu schnell tickt.
Literaturverzeichnis
Ehlert, T., Simon, P., & Moser, D. A. (2013). Epigenetics in sports. Sports Medicine, 43(2), 93–110. https://doi.org/10.1007/s40279-012-0012-y
Fox, F. A. U., Liu, D., Breteler, M. M. B., & Aziz, N. A. (2023). Physical activity is associated with slower epigenetic ageing—Findings from the rhineland study. Aging Cell, 22(6), 1–21. https://doi.org/10.1111/acel.13828
Horvath, S. (2013). DNA methylation age of human tissues and cell types. Genome Biology, 14, 115.
Kankaanpää, A., Tolvanen, A., Bollepalli, S., Leskinen, T., Kujala, U. M., Kaprio, J., Ollikainen, M., & Sillanpää, E. (2021). Leisure-time and occupational physical activity associates differently with epigenetic aging. Medicine and Science in Sports and Exercise, 53(3), 487–495. https://doi.org/10.1249/MSS.0000000000002498
Spólnicka, M., Pośpiech, E., Adamczyk, J. G., Freire-Aradas, A., Pepłońska, B., Zbieć-Piekarska, R., Makowska, Z., Pieta, A., Lareu, M. V., Phillips, C., Płoski, R., Zekanowski, C., & Branicki, W. (2018). Modified aging of elite athletes revealed by analysis of epigenetic age markers. Aging, 10(2), 241–252. https://doi.org/10.18632/aging.101385
Zentgraf, K., & Raab, M. (2023). Excellence and expert performance in sports: What do we know and where are we going? International Journal of Sport and Exercise Psychology, 1–21. https://doi.org/10.1080/1612197x.2023.2229362
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