Comfort Food und Kummerspeck – lassen uns Gefühle mehr essen?
Bei Liebeskummer erstmal Lieblingsfilm und literweise Speiseeis? Soweit die Darstellung in populären Medien. Doch lässt uns Traurigkeit wirklich häufiger zu Süßem greifen? Und hilft Eis gegen Traurigkeit? Wie genau Emotionen und Essverhalten sich gegenseitig beeinflussen ist komplex und in der Wissenschaft eher umstritten. Zwei aktuelle Studien der Universität Salzburg werfen weitere Fragen auf.
Essen Sie mehr als sonst, wenn Sie traurig sind? Was, wenn Sie verärgert sind? Oder gestresst? Wenn man einer Gruppe von Leuten diese Fragen stellt, antworten viele Leute mit ja.
Die Vorstellung, dass wir mehr und ungesünder essen, wenn wir emotional sind, ist weit verbreitet. Ähnlich können viele Menschen „comfort foods“ benennen, also Lebensmittel oder Speisen, zu denen sie greifen, um sich aufzuheitern. Diese beiden Phänomene zeigen das komplexe Zusammenspiel zwischen Gefühlen und Essverhalten: Emotionen beeinflussen Essen; Essen beeinflusst Gefühle.
Bevor wir tiefer einsteigen, wollen wir zunächst drei Kernkonzepte dieses Artikels voneinander abgrenzen. Als Emotionen definieren wir hier Gefühle, die wir in Reaktion auf innere oder äußere Reize verspüren, wobei Emotionen auch physiologische und Verhaltenselemente beinhalten. Unter Heißhunger (englisch „Craving“) verstehen wir ein intensives Verlangen nach spezifischen Lebensmitteln, das unabhängig von physiologischem Hunger auftreten kann. Das Lebensmittel, wonach die meisten Menschen in westlichen Gesellschaften regelmäßig Heißhunger verspüren ist beispielsweise Schokolade (Weingarten & Elston, 1991). Heißhunger führt oft zum Konsum bzw. Verzehr des entsprechenden Lebensmittels, vor allem außerhalb der Hauptmahlzeiten.
Essen als Reaktion auf Emotionen kann als Strategie zur Emotionsregulation verstanden werden: Menschen versuchen, durch Essen ihre Gefühle gezielt zu beeinflussen, also z.B. könnte eine Person essen, um sich bei Traurigkeit besser zu fühlen. Wenn dies „funktioniert“, also sich die Stimmung nach dem Essen hebt, wird dieses Verhalten verstärkt. Dementsprechend sollte diese Person beim nächsten Mal, wenn sie traurig ist, wieder zum Essen greifen.
(Gesundheits-)PsychologInnen versuchen schon lange, Fragebögen zu entwickeln, die Menschen danach unterscheiden können, inwiefern sie „anfällig“ für emotionales Essen sind, also inwiefern sie in Reaktion auf Gefühle mehr essen als sonst. Dies wird mit Fragen abgefragt wie „Ich habe Lust, etwas zu essen, wenn ich deprimiert oder entmutigt bin.“ Einige Studien zeigen, dass Menschen, die hohe Werte auf solchen Fragebögen aufweisen z.B. generell höheren Lebensmittelkonsum berichten (Konttinen et al., 2010).
In zwei neuen Studien (beide beruhen auf dem gleichen Datensatz) wollten wir an der Universität Salzburg untersuchen, ob wir ähnliche Zusammenhänge auch im Alltag beobachten können (Aulbach et al., 2025b, 2025a). Dazu fassten wir Datensätze mehrerer Studien aus unserer Arbeitsgruppe zusammen, um einen großen Datensatz zu erhalten. Alle Teilnehmenden hatten (1) Fragebögen zum Emotionalen Essen ausgefüllt und (2) per Smartphone über ein bis zwei Wochen mehrfach täglich Fragen zu momentanen Emotionen, zu Heißhunger auf schmackhafte Lebensmittel, und zu ihrem Snackverhalten beantwortet. Wir erwarteten, dass diejenigen, die im Fragebogen berichten, bei starken Emotionen mehr zu essen, dies auch in den Handydaten zeigen. Umgekehrt hatten wir auch erwartet, dass Snackverzehr bei diesen Personen wiederum zu positiveren Emotionen führen sollten. Eben weil sie gelernt haben, dass Essen eine gute Strategie ist, sich besser zu fühlen.
Die Ergebnisse zeigten: zwar gab es für einige Emotionen deutliche Zusammenhänge mit momentanem Heißhunger, jedoch war von allen untersuchten Emotionen nur Langeweile mit mehr Snack-Konsum assoziiert. Die Rolle der Fragebogenwerte war darauf beschränkt, Zusammenhänge zwischen momentanen Emotionen und gleichzeitigem Heißhunger zu erklären: wer also beispielsweise im Fragebogen angab, bei Traurigkeit mehr zu essen, berichtete stärkeren Heißhunger, wenn er oder sie sich momentan deprimiert fühlte. Für das Snackverhalten spielten die Fragebogenwerte hingegen keine Rolle. Und auch für die Emotionen nach einem Snack waren die Fragebogenwerte nicht entscheidend.
Die Studien reihen sich ein in eine widersprüchliche Literatur, in der teils gezeigt werden kann, dass die Tendenz zum emotionalen Essen gut über Fragebögen zu erfassen ist und teils keine entsprechenden Zusammenhänge auftauchen. Allerdings muss erwähnt werden, dass in den beschriebenen Studien nicht unterschieden wurde, was genau gegessen wurde. Ob ein Snack aus einem Apfel oder einem Schokoriegel besteht, könnte hier jedoch einen erheblichen Unterschied machen. Dass die Fragebögen nur mit Heißhunger, nicht aber mit tatsächlichem Konsum in Zusammenhang standen, könnte wiederum daran liegen, dass Konsum auch von anderen Faktoren abhängt: wenn beispielsweise gar keine Lebensmittel in der Nähe sind, kann man zwar starken Heißhunger verspüren, aber nicht essen.
Daher bleibt festzuhalten: wenn die genaue Erfassung der Tendenz zum emotionalen Essen wirklich wichtig ist, wie beispielsweise im klinischen Setting, sollten auf jeden Fall mehrere Methoden verwendet werden. Dazu gehören Fragebögen genau wie Interviews und möglicherweise mit dem Handy erfasste Daten.
Für den Alltag lässt sich zusammenfassen: zwar mögen wir selbst den Eindruck haben, dass unsere Gefühle unser Essverhalten steuern – ob das wirklich stimmt, scheint aber fraglich.
Literaturverzeichnis
Aulbach, M. B., Bamberg, C., Reichenberger, J., Arend, A.-K., & Blechert, J. (2025a). Bidirectional associations between affect and food craving within and between individuals: A mega-analysis. Appetite, 209, 107936. https://doi.org/10.1016/j.appet.2025.107936
Aulbach, M. B., Bamberg, C., Reichenberger, J., Arend, A.-K., & Blechert, J. (2025b). Taming “hanger” and falling prey to boredom-emotional and stress-eating in 801 healthy individuals using ecological momentary assessment. Appetite, 207, 107897. https://doi.org/10.1016/j.appet.2025.107897
Konttinen, H., Männistö, S., Sarlio-Lähteenkorva, S., Silventoinen, K., & Haukkala, A. (2010). Emotional eating, depressive symptoms and self-reported food consumption. A population-based study. Appetite, 54(3), 473–479. https://doi.org/10.1016/j.appet.2010.01.014
Weingarten, H. P., & Elston, D. (1991). Food cravings in a college population. Appetite, 17(3), 167–175. https://doi.org/10.1016/0195-6663(91)90019-O
Bildquelle
Autor*innen
Blog-Kategorien
- Corona (27)
- Für-Kinder (0)
- In-eigener-Sache (8)
- Interviews (11)
- Rechtspsychologie (25)
- Sozialpsychologie (238)
- Sportpsychologie (38)
- Umweltpsychologie (27)


