Priming im Fußball
Beeinflusst allein die Vorstellung, ein kreativer (oder wenig kreativer) Fußballspieler zu sein, die Kreativität?
Ab dem 14. Juni wurden sie wieder herausgeholt, die Trikots mit den großen Namen. Denn wenn bei einer Fußball-WM wieder die besten Spieler der Welt auf dem Platz stehen, streift sich auch so mancher Fan das Trikot seines Idols über. Vor allem fußballspielende Kids haben meist eine genaue Vorstellung davon, welchem prominenten Kicker sie nacheifern, wen sie also als Vorbild haben. Entsprechend prangt dann ein „Messi“ oder „Müller“ auf dem Trikot-Rücken.
„Vorangegangene Studien haben bereits gezeigt, dass Kreativität von Kontextfaktoren und bestimmten Motivationslagen beeinflusst wird. Daher nimmt man mittlerweile an, dass Kreativität weniger eine feste Persönlichkeitseigenschaft, sondern eher eine dynamisch-interaktive Eigenschaft ist, die aus kontextuellen und persönlichen Variablen resultiert“, erklärt Prof. Dr. Daniel Memmert die Forschungslage. Das Sequential Priming Paradigm bilde die Grundlage für das aktuelle Projekt, so Memmert. Es liefere eine solide theoretische und empirische Basis für die Annahme, dass allein die Vorstellung, Lionel Messi zu sein, bei einem/einer AmateurfußballerIn Effekte auf die eigene Kreativität habe. Um dies zu überprüfen führten Memmert und Dr. Philip Furley drei separate Experimente mit insgesamt 180 FußballerInnen durch. Als kreative Vorbilder wurden in einer Vorstudie für das Projekt Lionel Messi und Thiago Alcántara ermittelt, als weniger kreative Vorbilder Per Mertesacker und John Terry.
„Im ersten Schritt haben wir die Teilnehmer in vier Gruppen à 30 Probanden eingeteilt, zwei (kreative) Messi/Thiago-Gruppe und eine (unkreative) Mertesacker/Terry-Gruppe. Jeder Proband wurde einzeln im Labor getestet. Die Zuordnung zum jeweiligen Spieler war dem Zufall überlassen und auch über das eigentliche Ziel der Untersuchung wussten die Probanden nicht Bescheid“, erklärt Furley das Untersuchungssetting. Über ein experimentelles Priming- Paradigma sollten die ProbandInnen zunächst die Fähigkeiten und das spezifische Platzverhalten der Profis möglichst detailliert schriftlich skizzieren. Anschließend mussten sie fußballspezifische Entscheidungsaufgaben erfüllen, die sich aus der Beurteilung von 20 Offensivszenen zusammensetzten. Nach jeder Szene hatten die Teilnehmenden die Aufgabe, alle taktischen Lösungsmöglichkeiten aufzulisten, die sich in ihren Augen aus der Spielszene ergaben. „Bei der Auswertung haben wir alle von den Teilnehmern genannten Lösungsideen in sieben Kategorien eingeteilt und über ein gängiges Punktesystem analysiert. Zwei unabhängige Fußballexperten bewerteten dazu die Originalität der Lösungsvorschläge“, erklärt Furley die Datenauswertung der Studie.
Auch beim dritten Experiment bedienten sich die Wissenschaftler der zuvor ermittelten kreativen und weniger kreativen Spieler. Die Testaufgaben waren für die ProbandInnen dieser Gruppe dieselben wie bei den vorherigen beiden Experimenten. Der Unterschied im Untersuchungsdesign lag in der experimentellen Priming-Manipulation: Anstatt die Charakteristika der beobachteten Spieler zu notieren, erhielten die ProbandInnen unterschiedliche Antwortbögen für ihre Notizen, auf denen Farbbilder und Namen der Fußballer aufgedruckt waren.
„Die Ergebnisse aller drei Experimente bestätigen, dass die Vorstellung bzw. die Wahrnehmung von kreativen bzw. weniger kreativen Spielern die Kreativität im Fußball beeinflussen kann“, fasst Memmert die Resultate zusammen. Allerdings regen die Wissenschaftler dazu an, die Übertragbarkeit der Ergebnisse aus dem Labor auf den Platz zu prüfen und der Frage nachzugehen, ob die Effekte stark genug sind und lange genug für die Dauer eines gesamten Fußballspiels anhalten. Der Einsatz von geeignetem Videomaterial bestimmter Spieler könnte etwa als Vorbereitung auf Entscheidungsverhalten oder sogar direkt vor einem eigenen Match eingesetzt werden. „Sogenannte Anbahnungseffekte oder Priming-Effekte werden in der Wissenschaft immer wieder heiß diskutiert. Es gibt auch Stimmen, die diese Effekte komplett verneinen. Auch unser Projekt liefert Diskussionspunkte“, bilanziert Memmert. Er wünscht sich, dass sich künftig weitere Projekte der Spezifität von Anbahnungseffekten in unterschiedlichen Sportsituationen widmen. Allein das Überstreifen eines Trikots mit dem Namen „Messi“ reicht also (leider) nicht aus, um ein(e) kreative(r) FußballerIn zu werden…
Literaturverzeichnis
Furley, P., & Memmert, D. (2018). Can creative role models prime creativity in soccer players? Psychology of Sport and Exercise, 37, 1–9. https://doi.org/10.1016/j.psychsport.2018.03.007
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