Wenn das Workout mit Fitness-Apps schiefgeht: Das Vogel-Strauß-Problem der aktiven Vermeidung
Fitness-Apps erlauben es uns, bequem zu Hause Sport zu machen und abzunehmen – aber warum klappt das nicht immer? Und was kann man dagegen tun?
Fitness-Apps und Tracker wie das FitBit sind spätestens seit pandemiebedingten Lockdowns und Einschränkungen schwer wegzudenken. Manch eine(r) hat die Zeit genutzt und sich einen Ruck gegeben, endlich ein paar Kilos zu verlieren, andere wollten den Wegfall von Fitnessstudios ausgleichen, und wieder andere wollten vielleicht einfach der Langeweile entgegenwirken und mal testen, nach wie vielen High-Knees dem Nachbarn im Untergeschoss der Kronleuchter von der Decke segelt. Solche Apps haben eine Handvoll Vorteile (wenn man nicht gerade in besagtem Erdgeschoss wohnt): Viele sind zumindest in der Basisversion gratis und beinhalten häufig unterschiedliche Schwierigkeitsstufen, sodass sie sich sowohl für Unerfahrene, als auch für Fortgeschrittene eignen. Es ist auch kein zwischenmenschlicher Kontakt nötig. Das birgt zwar die Gefahr, Übungen falsch auszuführen, kann allerdings die Hemmschwelle zum Einstieg senken. Auch wenn Siri und Alexa uns wahrscheinlich beim Schnaufen und Schwitzen zuhören und zwischendurch reinplappern, wird die ein odere andere dies sicherlich dem Starren und den ungefragten Ratschlägen von Bizeps-Billie aus der Muckibude vorziehen.
Eine genaue und realistische Zielsetzung ist der erste wichtige Schritt beim Abnehmen oder anderen sportlichen Bemühungen. Nun kann man sich solche Ziele allerdings natürlich auch einfach selbst zusammengoogeln. Haben Apps also überhaupt spezifische Vorteile oder ist es einfach nur bequemer alles auf dem Smartphone zu haben, und hat Alphabet uns mit dem FitBit nur Nippes verkauft? Zwei Gründe sprechen für die spezifische Nützlichkeit von Apps und Fitnesstrackern. Eine Hilfe stellen die Erinnerungsfunktionen dar: Aus der Forschung zu verschiedenen Formen von Gesundheitsverhalten wissen wir, dass einfache Erinnerungen generell positive Effekte darauf haben, Vorgenommenes zu erreichen (Jarke et al., 2022). Leider reichen diese allein noch nicht aus, den Weihnachtsspeck loszuwerden. Der wirklich große Vorteil von Apps und Trackern liegt in der Möglichkeit, detailreich den Fortschritt zu überwachen, den man hinsichtlich der gesetzten Ziele macht. Eine Metaanalyse zu den Ergebnissen von 138 randomisierten Kontrollstudien mit Daten von fast 20.000 Personen fand heraus, dass dieses Überwachen wesentlich zum Erfolg beiträgt (Harkin et al., 2016).
Wo sind denn dann die ganzen Lockdown-Sixpacks? Das Problem mit dem ständigen Überwachen des Erreichens von Zielen ist leider auch damit verbunden, dass man dem permanenten Gedanken ausgesetzt ist, jene Ziele auch erfüllen zu müssen. Diese selbstgestellte Aufgabe kann großen Druck verursachen. Um diesem Stress aus dem Weg zu gehen, vermeiden manche Menschen dann aktiv das Überwachen ihres Fortschritts, um nicht an der nächsten Aufgabe zu scheitern. Dieses sprichwörtliche „Kopf-in-den-Sand-Stecken“ wird als „Vogel-Strauß-Problem“ (Ostrich Problem; Webb, Chang, & Benn, 2013) bezeichnet – wahrscheinlich zum Ärger vieler BiologInnen über die Redewendung.
Was also tun gegen die aktive Vermeidung? Kangovi und Asch (2018) beschreiben zwei Reaktionen, die stattfinden, wenn man mal einen Tag das Home-Workout schwänzt. Die kognitive Reaktion beschreibt das Nachdenken darüber, was dazu geführt hat, dass wir die Sit-Ups gestern ausgelassen haben. Wenn der Grund kontrollierbar war (sagen wir mal ein Glas Wein zu viel beim Abendessen), erhöht das in der Regel die Motivation, wieder einzusteigen. War es außerhalb unserer Kontrolle, ist das eher demotivierend – hier sollte man versuchen, die Kontrolle über die Situation zurückzuerlangen: Wenn Hundi z.B. die Yogamatte halbiert hat, kann man diese nachkaufen. Die andere Reaktion ist emotional: Man kann es bereuen, eine Übung ausgelassen zu haben. In diesem Fall ist die Motivation oft hoch, das Set am nächsten Tag nachzuholen und sich dann über die festgehaltenen Erfolge zu freuen. Schämt man sich jedoch für das Versagen, ist das der Motivation eher unzuträglich und sicher auch am Schwierigsten zu konterkarieren. Was aber helfen kann, sind, so simpel es klingen mag, Zuspruch und unerwartete Komplimente. Das Workout per App mit Freunden (vielleicht aber nicht dem Nachbarn von unten) via Messenger zu teilen, kann also der Motivation durchaus zuträglich sein und der aktiven Vermeidung entgegenwirken. Wie mit jedem Sport ist all das natürlich auch bei Apps immer nur die halbe Miete: Die Sit-Ups muss man am Ende doch immer selbst erledigen.
Quellen:
Harkin, B., Webb, T. L., Chang, B. P., Prestwich, A., Conner, M., Kellar, I., . . . & Sheeran, P. (2016). Does monitoring goal progress promote goal attainment? A meta-analysis of the experimental evidence. Psychological Bulletin, 142(2), 198–229. https://doi.org/10.1037/bul0000025
Jarke, H., Ruggeri, K., Graeber, J., Tünte, M.R., Ojinaga-Alfageme, O., Verra, S. … Galizzi, M. M. (2022). Health behavior and decision-making in healthcare. In K. Ruggeri (Ed.), Psychology and Behavioral Economics: Applications for Public Policy (Second Edition). New York and London: Routledge. http://dx.doi.org/10.4324/9781003181873-5
Kangovi, S., & Asch, D. A. (2018). Behavioral Phenotyping in Health Promotion: Embracing or Avoiding Failure. Jama, 19104, 6–7. https://doi.org/10.1001/JAMA.2018.2921
Webb, T. L., Chang, B. P. I., & Benn, Y. (2013). “The ostrich problem”: Motivated avoidance or rejection of information about goal progress. Social and Personality Psychology Compass, 7(11), 794–807. https://doi.org/10.1111/spc3.12071
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